Freitag, 12. Juni 2009

traenende Regentropfen

Der Himmel war grau bedeckt, von milchigen Wolkenvorhaengen ueberzogen und das leise Tropfen des Nieselregens liess verstaerkt ein gewisses Heimatgefuehl in mir aufkommen, das mich schon vorzeitig in einen dieser verregneten Novembertage trug, an dem man am besten gar nicht erst das Bett verlaesst und sich mit einer dampfenden Tasse Tee und einem fesselnden Buch noch tiefer in die warme Decke einkuschelt. Lange hielt dieses Gefuehl jedoch nicht an und ich erwachte vollen Bewusstseins in der bruetenden Hitze meines kolkatanischen Lebens.
Doch ganz ploetzlich, von einem Moment zum anderen, wandelte sich das Bild und die frischen Windboehen hatten sich zu einem strudelnden Sturm zusammengebraut, der wild durch die Strassen peitschte und hochgewachsene Baume sowie die strohbedeckten Behausungen der Menschen gleichermassen erbarmungslos mit sich riss. Alles ging so unerwartet schnell; der Himmel verdunkelte sich zu einem beaengstigenden Schwarz, durchzogen von aufflackernden Blitzen und donnernde Regenstroeme haemmerten ohrenbetaeubend gegen die scheppernden Fenster. Die ueberschwaemmten Wasserstrassen waren menschenleer und nur vereinzelt schipperten die klapprigen Rostbusse ein wenig deplatziert gen errettender Endstation.
Durch die Flure der Schule zogen derweil stickig-giftige Rauchschwaden, da Wasser in die Elektrik geflossen war und einen Brand entfachte, der uns noch tagelang Strom- und Wasserlos hinterlassen sollte und dessen Defekt erst behoben werden konnte, als ein russverschmierter 15-jaehriger Junge in buntem T-Shirt und kurzen Hosen vor mir auftauchte, in dem verschmorten Kabelsalat herumwerkelte und mir als der Elektriker vorgestellt wurde - “Aber... aber, er ist doch noch ein Kind…!” - “So what?!”.
So what?! – ja, das habe ich mich auch gefragt, wie ich so sicher und geschuetzt vor allen Unwettern dieser Welt, mit einem Dach ueber dem Kopf im Fensterrahmen sass und Putul mir im Dunkel des Abends die Nationalhymne beibrachte, indessen es immernoch unaufhoerlich goss und wir riesige Baeume wie Streichhoelzer aechzend zu Boden krachen sahen; waehrend all die vielen, vielen unbekannten Schicksale dort draussen in eben diesem Moment nicht nur ihr zu Hause, Familie und Huette, ihr Hab und Gut, ja ihre ganze Existenz hilflos wegfliessen sahen – eine schaurige Gaensehaut hinterblieb.
Der kommende Morgen gab dem Unheil nicht nur einen Namen sondern liess auch wage vermuten, wie zerstoererisch der vollkommen unerwartete Zyklon, der jaehrlich „nur“ ueber das darauf vorbereitete Bangladesch braust, weite Teile West-Bengalens hinterliess. Das Disaster“management“ ward ein einziges Disaster, dem die demonstrierenden Menschen in Form von das gesamte Strassennetz blockierenden Aufstaenden ihren Unmut kund taten – was die Bewaeltigung des Ungluecks zusaetzlich erschwerte.
All dies liegt nunmehr fast zwei Wochen zurueck und dennoch ist der gewohnte Gang des Alltags nur in Ansaetzen zu erahnen. Waehrend die aggressive Sonne in der Stadt die Wassermassen mit ihren brennenden Armen inzwischen schon fast vollstaendig zu sich gezogen hat, der Wiederaufbau eifrig vorangeht und die letzten umgestuerzten Baeume von ungesicherten Maennlein geschwind wie in den Kronen schwingenden Aeffchen mit einer kleinen Axt zu Brennholz zerhackt werden, zeigen die wahren Ausmasse in den Doerfern mit jedem Tag mehr ihr eingefallenes Runzelgesicht.
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Nur eine zweistuendige Busfahrt suedlich von Kolkata entfernt erstrecken sich die weitlaeufigen Sumpfgebiete der Sunderbans, in die ich zusammen mit Leonie und Maren fuhr um ein paar Tage in einer anderen Organisation zu verbringen und deren Arbeitsfeld naeher kennen zu lernen. Neben der Unterhaltung eines Augenkrankenhauses, einer Hebammenstation (ueber die allein ich am liebsten Seiten fuellen wuerde) und einer Schule fuer taubstumme Kinder sind sie momentan verstaerkt mit ihren Booten im Einsatz, um betroffene Dorfgemeinschaften taeglich mit gespendeter Kleidung oder Lebensmitteln zu versorgen. Uns Freiwilligen wurde die Moeglichkeit offen gestellt sie auf einer der Fahrten zu begleiten um mit eigenen Augen sehen zu koennen, wie sich die Hilfsarbeit gestaltet und auch wenn ich mich von Beginn an als blosse Beobachterin unglaublich fehlplatziert fuehlte, befuerchtete eventuell gar zusaetzliches Ballast darzustellen, zog uns die Neugier und der Wille etwas mehr noch zu verstehen.
Je naeher wir mit der Ambulanz dem Wasser kamen, desto verherender sah die Landschaft aus: umgekippte Strommasten, an denen Unterwasser erste Raparaturen unternommen werden; ganze Fischerdoerfchen, die unter dem Wasser verschwunden waren, so dass nur die gelegentlich unwirklich hervorschauenden Zipfel der Terrakottadaecher an ein Leben davor erinnerten, ein Leben, was noch Jahre lang nicht mehr moeglich sein wird, da das salzige Wasser des Golf von Bengalen den Naehrboden der zu bestellenden Felder vollkommen ruiniert hat.
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Zusammen mit einer 30 koepfigen Gruppe indischer Maenner, unter ihnen der wohlhabende Bauer, dessen Reichtum das geladene Gut entsprang, betraten wir das Boot um die Gemeinschaften des weltgroessten Flussdeltas anzufahren, die es nach Aussage des Krisenmanagement-Bueros am noetigsten haetten. Kleidungsstuecke benoetigten sie schon nicht mehr, aber dennoch sitzten die Menschen verzweifelt wartend fest und sind darauf angewiesen ernaehrt zu werden, da das ihnen im besten Fall gebliebene und nicht mit Huhn, Ziege oder Kuh untergegangene wacklige Holzboot nur von einem Ufer zum anderen gleiten kann, sie auf Grund der starken Wasserstroemung aber nicht mehr zuruecktragen wuerde.
Und so kommen die Menschen mit dem ankuendigenden Posaunen des Schiffhorns angerannt und bilden lange Schlangen; Reihen, die mit Bambusstoecken zurueckgedraengt werden, damit Frauen und Maenner einander nicht ueberrennen und die Kostbarkeiten unkontrolliert einheimsen. Die Kinder finden sich separat zusammen und greifen aufgeregt nach den kleinen nur fuer sie gedachten Milchpulverpaeckchen.
Im Landesinneren, hinter den das Flussufer saeumenden Mangrovenwaeldern, den ihrer Art groessten dieser Erde, liegt eine noch unentdeckte Welt des Elends, eine Welt, die von den meisten Rettungsteams nicht gesehen wird, da die Zugaenge versperrt sind und die hungernden und kranken Menschen unerreichbar bleiben. Ob der verseuchten Trinkwasserbrunnen leiden tausende von ihnen an Diarhoe und die Angst vor Epidemien macht sich ueberall breit.
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Das alles war so, so absurd! Ich musste daran denken, wie ich frueher immer von meiner Oma dazu angehalten wurde mein Ferientaschengeld zur Sparkasse zu tragen um es den Flutopfern in Deutschland zu spenden ohne dass ich wirklich verstehen konnte... und nun sah ich diese Menschen am Flussufer rote Fahnen schwenken um auf sich aufmerksam zu machen. Menschen, die wirklich alles verloren haben und nicht „nur“ mit einem unter Wasser stehenden Keller zu kaempfen haben; Menschen, die auf keine ausgleichende Versicherung, keine Ersparnisse zurueckgreifen koennen und direkt in die aussichtslose Armut gespuelt wurden.
Selten habe ich wohl weniger Hunger verspuert - als ob ich ueberhaupt wuesste was es heisst hungrig zu sein - als in dem Moment, in dem wir von Bablu-Mama, einem uebergewichtigen Bengalen und, wenn er nicht gerade schnarchend in seiner Kajuete schlief, Leiter des Rettungskommitees, zum Mittagessen geladen wurden. Wie schaemte ich mich meiner selbst, unserer Sonderstellung, dem unverkennbaren Zynismus der Situation und war heilfroh, dass wir wenigstens unter dem Deck versteckt vor den Augen der anderen assen, die draussen dankbar in viel zu grossen Metallkruegen ihre sorgfaeltig in kleine Plastiktueten portionierten Reis-, Dhal- und Trinkwasserrationen entgegennahmen.

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Schwer lag mir das Essen im Magen und ich fuehlte mich so unsaglich elend. Doch was waere die Alternative gewesen? Davon, dass wir nicht gegessen haetten, waeren die Menschen auch nicht satter geworden und wie sie so am Ufer standen, uns froh und lachend zuwinkten, fragte ich mich, ob sie denn wirklich ungluecklich seien oder ob nur wir, die wir ein anderes Leben fuehren, das ihnen unerschlossen ist, unser Unglueck auf sie projezieren, denn sie kennen es ja nicht anders und wenn sie nicht mit Wirbelstuermen zu kaempfen haben, dann sind es Ueberschwemmungen oder Monate lang anhaltende Duerren... jedes Jahr aufs Neue!

Da lebe ich seit mittlerweile ueber 9 Monaten hier und auch wenn ich weit davon entfernt bin mich an irgendetwas zu gewoehnen, habe ich doch emotional damit umzugehen gelernt... und dann stehe ich an Bord eines Bootes an die Reling gelehnt und fuehle, wie der Boden mir erneut unter den Fuessen weggerissen wird. Ich spuere die Traenen der Ohnmacht in mir aufsteigen, die nichts aendern, keinen Unterschied machen und alsgleich in den salzigen Fluten untergehen wuerden und doch wuenschte ich, von ganzem Herzen, ich koennte mit ihnen nicht nur die schwere Leere, sondern auch die vernichtenden Wassermassen, das Leid und Elend wegschwemmen...

Ja,
was machen wir hier? Zusehen? Uns am Ende des Tages fuer diesen besonders lehrreichen und interessanten Ausflug bedanken? Vielleicht ist dies wirklich das Einzige, was wir “tun” koennen? Da sein! Sehen, lernen und weitertragen – um einen bewussteren und sanfteren Lebenswandel bemueht... Auch der Gruender der Organisation sprach davon, dass es wichtig sei, wenn die Dorfbewohner uns als auslaendische Freiwillige sehen wuerden, denn erst dann kaemen sie auf den Gedanken, dass auch sie etwas dazu beitragen koennten um die Situation zu lindern. Ich weiss es nicht... spuere nur, dass ich Land und Menschen naeher bin und sie fuer mich nicht mehr nur ueber den Fernseherbildschirm flimmernde Bilder sind, die nach zwei Tagen ohnehin in den Hintergrund gehuscht sind, da sie inzwischen nicht mehr von Aktualitaet oder von anderen, noch grausigeren Schlaegen abgeloest wurden. Mir waren diese Nachrichten nicht immer nur unvorstellbar sondern auch unendlich weit weg, so vollkommen ohne Bezug im Nichts vergehend. Sri Lanka, Pakistan, Guatemala, Afrika, der Irak… so weit weg… so weit und doch so nah!

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Vielleicht muessen wir wirklich hinaus in die Welt, ins Leben ziehen um zu spueren, zu sehen, riechen und schmecken und Anteil zu nehmen… uns naeher zu sein und nicht vorueberziehen zu lassen, darauf spekulierend, dass es auch am folgenden Tag wieder “die Anderen” treffen wird.

Mittwoch, 13. Mai 2009

Die Qual der Wahl

„Die Schule am heutigen Tage zu verlassen sei fuer mich zu gefaehrlich!“, so die warnenden Worte, die mir nicht nur allein von Mr. Mukherjee, sondern auch anderen Feunden und Bekannten wohlwollend ans Herz gelegt wurden. Dass die unbekannte Gefahr sich etwas anders bemessen wird als zu Holi, meinem allerliebsten Lieblingsfest im Maerz – dem Fest der Farben – als sie mich in Gestalt von fliegenden Eiern, Schlamm und verfaulten Tomaten ueberraschte (denn schliesslich ist der Begriff „Farbe“ beliebig weit ausdehnbar :) und die meisten Menschen koennen sich die traditionellen Puder-Kreidefarben gar nicht leisten), kann ich annehmen, doch dass ich „erschossen werden koennte“ (so die Befuerchtung), moechte ich nicht glauben, auch wenn jeden Tag von toedlichen Aufstaenden und Belagerungen zu lesen ist. Doch die nehmen nur den kleineren Teil in den Zeitungen ein und werden wohl nur stellvertretend fuer all die unveroeffentlichen Opferzahlen des seit Wochen ausgeschlachteten „Dance of Democracy“ stehen, der heute auch in Kolkata mit der Paralamentswahl seinen Hoehepunkt erreichen soll.

Auch wenn kaum ein Bus faehrt, da diese, ebenso wie viele Schulgebaeude von der Polizei fuer hoehre Wahlzwecke in Beschlag genommen wurden, steht die Stadt heute keineswegs still – sondern Kopf und es brodelt spuerbar, denn dieser Tag koennte ueber den Bruch der seit 30 Jahren im Amt seienden kommunistischen Regierung entscheiden. Warum es dieses Jahr wahrscheinlicher als zuvor sein soll ist mir ein unerklaerliches Raetsel, ebenso wie das ganze Unterfangen an sich, das sich nur in Teilen nebelhaft lichtet und doch vorallem eines ist – ganz schoen absurd!
Merkwuerdig genug finde ich, dass die wenigsten der Menschen mit denen ich sprach ueberhaupt wahlberechtigt sind... Merkwuerdig? Wohl nicht so sehr, denn um waehlen zu koennen muss man in West-Bengalen im Besitz einer Identitaets-Karte sein, die widerum wohlweislich von der Partei hoechstpersoenlich ausgehaendigt wird und so ist es schon viel weniger verwunderlich, dass die einen auf Grund unerklaerlicher Verzoegerungen entweder immer noch vergeblich auf das gute Stueck Papier warten und auf die naechste Wahl vertroestet werden, waehrend andere sich sehr wohl dessen bewusst sind, dass sie die erforderliche Karte erst dann erhalten werden, wenn sie sich dankbar zeigen und zusaetzlich auch das grosszuegige Geschenk von 2.000 Rupien annehmen, mit dem sie im Gegenzug der fuehrenden politischen Kraft, der CPM (Communist Party Marxist), ihre Stimme versprechen.
Im Endeffekt gibt es sie aber doch – die Auserwaehlten – die an einem der elektronischen, Polizeischaren bewachten Wahlautomaten ihre Stimme abgeben duerfen und sich durch eine Tintenmarkierung an ihrem Finger (die verhindern soll, dass man wiederholt zu waehlen versucht und nur langsam mit der Zeit verblasst, da sie sich angeblich durch kein Mittel spurlos entfernen laesst) von den Normalsterblichen unterscheiden.

An jeder Kreuzung, jeder Weggabelung und in jeder noch so kleinen Nachbarschaft sind kleine Staende aufgebaut, vor denen wichtige oder auch weniger bedeutende Maenner schon seit Tagen ihre Zeit verbringen und gerahmte, blumengeschmueckte Fotografien ihres bevorzugten Kandidaten in ausladenden Pujas beweihraeuchern. Auf einem Stadtspaziergang durch das faszinierende, von ruinenhaften Baudenkmaelern eines „Bilderbuchindiens“ uebersaehte Lucknow, der Hauptstadt Uttar Pradesh, welches ich auf der Rueckreise von Nepal nach Kolkata besuchte, kam ich auf die fabelhafte Idee mich einfach hinter den stoffverhangenen Konstruktionen vorbeizuzwaengen und so dem Menschengedraenge zu entgehen, was sich auch als sehr vorteilhaft erweisen sollte, bis ich versehntlich gegen einen der Vorhaenge stiess, den „Altar“ samt Bild zu Fall brachte und schnell, schnell vor den wuetenden, in der Luft wedelnden Faeusten fluechtete.
Am Abend dann finden organisierte Versammlungen statt, in denen auf einem Podium predigende Politiker der Zuhoererschaft ihre aufbrausenden Worte entgegenschmettern, die, auch wenn das ganze Viertel ob des Stromausfalls im Dunkel der Nacht verschwindet, durch unzaehlige knackende und verzerrende Lautsprecher in alle Strassen getragen werden. Woher sie all die Menschen nehmen, die dieses Spektakel so scheinbar teilnahmslos und doch geduldig ueber sich ergehen lassen? – es laesst sich nur vermuten... Dass all die in Reih und Glied marschierenden Gruppen von Maennern, die Fahnen stolz und hoch vorantragend, welche des Abends gespentisch durch die Gegend ziehen und im Chor die immer gleichen Worte rufen, dies nicht unentgeldlich tun, ist schon um so vieles gewisser.
Ein wenig gleicht es beinhae einem grossen Volksfest: ueberall in der Stadt flattern die zu langen Girlanden gereihten rot-weissen Sichel-Faehnchen und die verblassten Werbungen an den Haueserwaenden sind uebermalt um nun im Glanze politischer Parolen zu leuchten... waeren da nicht die gigantischen Plakate, welche einem von allen Seiten betaeubende Bilder entgegendonnern! Es sind nicht mehr nur die instrumentalisierten traurigen Augen von kleinen halbnackten Blaehbauchkindern, die auf dem Muellerberg spielen und flehend ihre duennen Haendchen ausstreckend um eine heilbringendere Zukunft zu bitten, sondern bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen; hingerichtete Koerper; verstuemmelte und blutverschmierte Gesichter, vor Angst und Schrecken verzerrt; die dem potentiellen Waehler „lebensnah“ ins Gedaechtnis zurueckrufen wollen, was die gegnerische Partei in der Vergangenheit zuliess... Diese in herunterlaufendes Blut gerahmten Fotos sind der Inbegriff des entsetzlichen Grauens und uebersteigen alles, was ich bisher gesehen haben, doch es gibt kein Entkommen, denn sie holen einen an jeder Strassenecke ein...

Der eigentliche WahlKAMPF erstreckt sich allerdings keineswegs nur auf ein paar Wochen, sondern findet schon lange vorher, ja waehrend der gesamten Amtszeit statt. Besonders hart trifft es, wie so oft, die ohnehin schon armen Menschen, die hilflos zu Boden gestampft werden. In einem zwei Zugfahrtstunden von Kolkata entfernten unterpriviligierten muslimischen Ort, macht sich dies symbolisch in aller Klarheit bemerkbar und blendete mich doch... immer und immer wieder.
Da die Schule waehrend der begonnenen vier Wochen langen Sommerferien geschlossen bleiben wird, beschaeftige ich mich nun vorallem mit organisatorischen Dingen, wie auch der Auswertung und Verschriftlichung einer Studie, die in einem „unserer“ Doerfer durchgefuehrt wurde und mir einen noch tieferen Einblick in die momentane poltische Lage ermoeglichte.
Die gesamte Dorfgemeinschaft existiert unter der offiziellen Armutsgrenze (eine ganze Familie von durchschnittlich 6 Menschen muss von 12,50 Rupien - 5 Cent - am Tag UEBERleben) und hat daher Anspruch auf Lebensmittelkarten, mit denen sie unter anderem verbilligt Grundnahrungsmittel erstehen koennen. Diese werden ihnen jedoch oft genug nicht ausgehaendigt und von den Anhaengern der CPM (die in der Region in der Minderheit sind, aber die Macht des Staates, reicht natuerlich ueber die eines Dorfes hinaus) fuer sich zurueckbehalten. Es gibt nur noch wenige, die die Partei unterstuetzen und sie geniessen bis heute auch die meisten Vorzuege. So sind die einflussreichtsen Anhaenger auch im Beistz von „Arbeitskarten“, die eigentlich den Beduerftigsten zustehen und ihnen von der Regierung aus 100 Tage Arbeit im Jahr garantieren, ohne einer Arbeit nachzugehen und verdienen mit ihnen zusaetliches Geld. Die Bevoelkerung hat sich dafuer entschieden gegen die Unterdrueckung durch die allmaechtige Partei anzugehen, bangt jedoch besonders nun anlaesslich der Wahl um ihr Leben und daher bewohnen seit mittlerweile vier Monaten Polizeitrupps die einzige Grundschule des Dorfes, was widerum zur Folge hat, dass die Kinder keinen Unterricht erhalten – es ist eine ewige Aneinanderkettung misslicher Umstaende und die verstrickte Vernetzung der ueberall herrschenden Korruption dieses Landes – Indien - der groessten Demokratie der Welt...

Samstag, 25. April 2009

Ueber Stock und Stein

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Koennte ich die zauberhafte Stille der Berge einfangen und fuer aller Welt nachklingen lassen, ich wuerde wohl nicht in Worten beschreiben muessen wollen, was sich vor mir auf Tagen der Wanderung durch nepalesische Lande auftat.
Gezwungener Massen fuehrten mich die Ausreisebedingungen meines Touristenvisa und die Hoffnung darauf, eben dieses schon vor Ablauf verlaengern zu koennen ohnehin nach Nepal, doch auch wenn letzteres noch nicht moeglich war, ward der Rucksack gepackt um von Kathmandu aus, der kleinen charmant-dreckigen Hauptstadt – einer Mischung aus indischem Trubel und der gemuetlichen Kulisse buddhistischer Tempel, die gemeinsame Reise entlang des Helambu-Trails anzutreten.
Viel zu schnell flogen die Tage an uns vorbei; viel schneller noch als ich die steilen Pfade heraufklettern oder die umso vieles quaelenderen, aus 3000 Meter Hoehe wieder ins Tal hinabreichenden Steinbrocken geschwind hinter mir haette lassen koennen - ein halbes Jahr Kolkata hinterlaesst scheinbar wirklich seine Spuren – und so brach die Nacht des Oefteren frueher ueber uns herein, als dass wir in einer der kleinen Lodges haetten Unterschlupf finden koennen. Meine Gedanken, Erinnerungen und die Erfahrungen der vergangenen Monate hingegen liessen sich nicht halten und flogen in alle Richtungen aus, um ruhiger und besonnener wieder zu mir zurueckzukehren.
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Ueber Stock und Stein, Bergauf – Bergab begegneten wir nicht nur vereinzelten Touristen samt Guide und Porter (auch wenn ich weiss, dass die zaehen, drahtigen Maenner davon leben Touristen auf ihren Wanderungen zu begleiten um ihr Gepaeck zu tragen, hat es mich doch immer wieder erschrocken sie unter den schweren, raffiniert auf ihren Ruecken gebundenen Taschen keuchen und schwitzen zu sehen, die ich nicht einmal kurz vom Boden anheben konnte); sondern auch Dorfbewohnern, die flink voraus eilten um uns zurueck auf den richtigen Pfad zu fuehren; buddhistischen Moenchen und den „Blaettermenschen“ – Kindern und Frauen die hinter den riesigen Koerben gefuellt mit gesammeltem Reissig, Laub oder Aesten ganz verschwunden sind. Um die schwere Last ueberhaupt so lange tragen zu koennen, balancieren sie das Gewicht nicht etwa auf den Schultern, sondern mittels einem ueber den Kopf gebundenen Lederriemen.
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An den Abenden dann wurde das ins warme Licht der Daemmerung getauchte Firnament von dichten Libellenschwaermen eingenommen, die sich wolkenartig ueber unseren Koepfen zusammenbrauten und doch dem funkelnden von Sternen uebersaehten Himmel weichen mussten. .

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Immer wieder hing mein Blick den wild flatternden Gebetsflaggen nach, die an Tempeln, Stupas und Bauemen befestigt waren um, vom Wind schon ganz verblasst, ihre Botschaft in die Welt hinaus zu tragen, auf dass diese erfuellt von Glueck und Harmonie eines Tages ein noch besserer und friedvoller Ort werden wuerde. ..

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Als wir unsere letzte Station erreicht hatten um von dort aus die stundenlange Fahrt zurueck nach Kathmandu anzutreten, war es das erste Mal, dass ich nicht von abenteuerlicher Vorfreude erfuellt aufhuepfte, als wir auf Anweisung des Conductors hin zwischen den geladenen grossen blauen Faessern und Nepalesen Platz auf dem Dach des stark ausschwankenden Busses nehmen sollten. Dabei war dies wohl meine bisher aufregendste Fahrt auf schmalen, holprigen Sandwegen, welche sich schlaengelnd um die riesigen Bergketten legten, bei der ich alle Kraft darauf verwenden musste mich ja gut festzuhalten und ausserdem rechtzeitig zu ducken, um mich nicht in den immer mal wieder viel zu tief haengenden Kabeln zuverfangen. Eingehuellt in mein vor Sonnenstrahlen und aufgestobenem Sand schuetzendes Tuch wankte ich in den scharfgeschnittenen Kurven und tat mein Bestes den steil hinabreichenden Abhaengen so wenig Bedeutung wie nur moeglich beizumessen. Die gewaltige Schoenheit der Landschaft; angelegte Getreide- und Reisterrassen; dichte in allen erdenklichen Gruentoenen leuchtende Baumkronen und die massig gen Himmel emporragenden Berge, liessen mich meine Bedenken schliesslich gaenzlich vergessen. Ich fuehlte mich ganz, ganz klein und unbedeutend und doch behuetet als Teil des Ganzen, die ich ein Stueck des grossen Gluecks erleben durfte.

Nun ist es nicht mehr der frische Kuehle bringende Wind, der ueber die weite Berglandschaft Nepals weht und mir befreiend in den Ohren rauscht, sondern der ueber mir regelrecht hoehnisch rotierende Ventilator eines stickigen kleinen Raumes, der auch in seiner ganzen Kraft nicht gegen die stehende Hitze des bengalischen Sommers anzukommen vermag. So habe auch ich laengst vor den ueber 40˚C kapituliert und bin darum bemueht mich an die klebrig feuchte Schweissschicht, die mich wie eine zweite Haut ueberzieht und saemtliche Kleidung durchtraenkt, einfach zu gewoehnen – erst einmal nass ist dies auch unumgaenglich :). Doch der April brachte nicht nur die sengende Sonne, sondern auch Berge von koestlichen Wassermelonen und fruchtig-saftigen Mangos, die sich zu Hauf auf ausgelegtem Stroh tuermen - ein Fest :D! E
s ist schoen wieder zu Hause bei den liebgewonnenen Menschen zu sein, in vertrauter Umgebung, in der mir der geschaeftige Obstverkaeufer freundlich zunickt und bekannte Gesichter auf der Strasse anhalten um zu erfahren, wo ich denn nur so lange gesteckt haette und ich muss unweigerlich daran denken wie es wohl sein wird, wenn ich in wenigen Monaten schon fuer etwas sehr viel laenger als nur zwei Wochen fort gehen werde. Doch bis dahin ist noch Zeit und mal wieder heisst es „von vorn beginnen“ und die Tage mit mir neu gesuchten Aufgaben, wie dem Foerderunterricht fuer kleinere Gruppen von SchuelerInnen, die als eines von 60 in einem Klassenraum sitzenden Kindern dem normalen Unterricht nicht folgen koennen, zu fuellen.

Sonntag, 8. März 2009

Von einer Welt in die andere

Waehrend ich darum bemueht war, mich aus meinem Mosquitonetz-verhangenen Schlaf zu winden, liess das 6-Uhr-frueh-morgendliche energische Klopfen an meine Tuer mich doch stark in Frage stellen, inwiefern mein Verstaendnis von Spontanietaet jemals mit der indischen Tages”planung” Schritt halten koennen wuerde… Doch noch ehe ich zu dem Schluss haette kommen koennen, dass ich in diesem Vergleich unmoeglich bestehen wuerde, ward ich schon dazu aufgefordert schnell in meinen Kurta zu schluepefen um mich wenig spaeter auf den Weg zu unserem im Februar zu Besuch gewesen seienden “hohen Gast” zu machen, dessen Begleitung mir an diesem Tag zufiel.
Im Vorab habe ich meine Allgemeinbildung wirklich etwas beschaemt in Frage gestellt, kreuzte ein beruehmt-beruechtigter “Dean of Westminster Abbey” doch nie meinen Weg, waehrend alle anderen in der Organisation seiner Ankunft respekterfuellt entgegensahen, bis sich das sagenumwobene Bild ein wenig lueftete und die Ersten mich (als Europaeerin) vorsichtig fragten, wer genau dieser Mann denn eigentlich sei. Oh, wie habe ich mich (als Caro) da gefreut ihnen mitteilen zu duerfen, dass ich nicht den leisesten Schimmer haette und war erneut fasziniert davon zu sehen, dass Menschen ebenso bedeutend sind, wie wir sie erscheinen lassen und sie nur in unserem unkritischen Glauben an ihren Status eine Existenzberechtigung finden koennen.
Wahrhafter Bekanntheitsgrad hin oder her, der Vorstand des Abbeys in London wurde als Patron der 2010 stattfindenen Jugendkonferenz, welche die YMWS schon jetzt langsam zu organisieren beginnt, wuerdig empfangen. Das dies jedoch ein klimatiersiertes, von einem Polizeiescort angefuehrtes Auto beinhalten wuerde, welches ihn durch Kolkata kutschieren sollte und eine problemlose Fahrt vorbei an den Slums dieser Stadt garantierte, habe ich nicht absehen koennen und ich fuehlte mich, ueber - im wahrsten Sinne des Wortes – “Gott und die Welt” redend, unglaublich gefangen. Dabei haette mir und allen Beteiligten eigentlich im Vornherein klar sein sollen, dass ich nicht gerade die geeignetste Person fuer ein wenig Smalltalk ueber die “Royal Family” sein wuerde.

Gehoert auch diese Erfahrung als Gegenpol und Teil dazu? Und wenn ja, wozu? Wohl nicht zum Leben Gaithridis, der Koechin unserer Schule und ihrer Tochter, meiner lieben, lieben Putul, ohne deren Gesellschaft ich mich oft sehr allein gefuehlt haette. Sie wohnen wie ich in der Schule, auch wenn “wohnen” es nicht ganz trifft, da sie den ganzen Tag ueber fuer die Familie arbeiten – kochen, waschen und putzen – und die Schulbaenke sich erst am spaeten Abend zu ihren harten Betten wandeln.
Nahezu jede mittelstaendige Familie stellt Haushaltsgehilfinen an, die taeglich zum Kochen oder Reinigen vorbeikommen; dies ist in Indien nichts Ungewoehnliches und ebenso gewoehnlich ist das Leben von Gaithridi, welches stellvertretend fuer viele andere steht und von dem sie mir am Abend in der Kueche beim Ausrollen des Rutiteiges (einem leckeren ueber Gas aufgeblaehtem kleinen runden Fladenbrot) erzaehlt :
Zwangsverheiratet wurde sie frueh, zu frueh, denn ohne einen Ehemann und sei er auch noch so unnuetz, ist sie als Frau nur wenig wert und so verhindert die rote, fuer alle sichtbare Markierung auf dem Scheitel ihres Kopfes zumindest gesellschaftliche Aechtung. Gaithridi ist Analphabetin, doch das Geld fuer die 10-koepfige “joined family”; ihre beiden Soehne und deren Frauen wie Kinder, ihren Ehemann und Putul, die alle unter einem Dach wohnen; verdient hauptsaechlich sie. Zwar zieht ihr kleiner, hagerer Mann in den stark befahrenen Strassen der Stadt eine Rickshaw; doch von dem zweifelsohne geringen Verdienst bekommt die Familie nichts zu sehen, da er es in Form von illegal gebranntem Reisschnaps vertrinkt. Erst kuerzlich sind in ihrer Nachbarschaft viele alkoholabhaengige Maenner gestorben, da sie alle vom gleichen giftig zusammengepanschten Fusel tranken; ein allgegenwaertiges Problem, das diesmal sogar von den Medien aufgegriffen wurde. Putuls Vater war dieses mal nicht unter ihnen, da er noch am Rausch des Vortages zu zehren hatte.
Wirklich gut behandelt werden die beiden hier nicht, aber bis Putul verheiratet ist muessen sie bleiben um das noetige Geld fuer Schmuck und Mitgift zu verdienen – ein wahres Vermoegen! Dabei darf dies eigentlich gar nicht sein, nein es darf nicht!, denn gesetzlich ist die Brautaussteuer schon seit einiger Zeit verboten, ja gesetzlich… Viel schlimmer jedoch und das tut mir unglaublich weh, ist, dass Gaithridi immer wieder beklagend aufseufzt keinen willigen Ehemann zu finden, da Putul – die so alt wie ich ist, nein, ein wenig aelter, aber so genau weiss das keiner, da Geburtsurkunden je nach Bedarf erkauft, erstellt und gefaelscht werden – eine viel zu dunkle Hautfarbe hat und auch saemtliche Aufhellungscremes nicht den gewuenschten Effekt erzielten. “Tja, dann muessen wir sie wohl an eine schwarze Bulldogge von der Strasse verheiraten!”, schlussfolgert sie dann lachend und Putul, dieses schoene sanfte Maedchen, das genauso aussieht wie es heisst – wie eine Puppe – stimmt schallend mit ein, denn schon seit ihrer Kindheit ist sie mit dem Wissen aufgewachsen, nichts, aber auch gar nichts wert zu sein.

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Und dann finde ich mich an einem Wochenende auf einmal weder in einem Auto, noch dem Kuechenboden sitztend wieder und ziehe gemeinsam mit lieben Menschen in einem hoelzernen Boot ueber den Ganges und lasse wenige Stunden vom stickig-qualmend-verschmutzten Kolkata und doch Welten von Gaithridi und Putul entfernt, Seele und Beine im kuehlen Nass baumeln, waehrend im Dickicht von Bananenplantagen und Papayabaeumen immer mal wieder Bueffelkarren und Dorfbewohner auftauchen, die riesige Strohballen auf ihren Haeuptern tragen. Ein stilles Paradies - nicht nur fuer nie zuvor gesichtete Zugvoegel, die im seichten Wasser nach kleinen Fischen fingen oder in Schwaermen ueber unseren Koepfen flatterten.

Freitag, 30. Januar 2009

Dem Ganges zu Fuessen

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Mit der zweiten angebrochenen Stunde des ungewissen Wartens, in der die elektronische Frauenstimme immmer noch nervtoetend im Sekundentakt ueber den Bahnhof quaekte und die verspaeteten Zuege ankuendigte, jedoch immer genau dann inmitten des allgemeinen Gewusels zerriss, als es daran war die voraussichtliche Ankunftszeit anzusagen, machte auch ich es mir auf meinem Rucksack bequem und musste laechelnd daran denken, dass ein jeder, der sich so bereitwillig ueber die DeutscheBahn echoviert, doch ein mal in den Genuss einer indischen Zugreise kommen sollte. Das Faszinierenste ist jedoch immer wieder, dass es niemanden, wirklich niemanden zu stoeren scheint und die Reisenden lediglich etwas tiefer in ihre grossen Bastsaecke sinken, als ob sie fuer eine Ewigkeit weilen wuerden – was genau genommen ja auch gar nicht so abwegig ist…
Indessen ist es nicht nur das undurchsichtige Chaos, sondern vorallem die einzigartig-warme Vertrautheit, die sich waehrend der Zugfahrt ausbreitet und so vor dem Ausklappen der blauen Schlafliegen reichgefuellte Dosen und Tueten geoffnet werden um gemeinsam ein zusammengewuerfeltes und nach indischer Manier ausladendes Abendessen zu geniessen.

Auf die Reise begab ich mich dieses Mal mit Gora Ghosh. Gora stammt urspruenglich aus Indien, verbrachte jedoch die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland und kehrt nun jedes Jahr gemeinsam mit seiner Frau Annelies fuer drei Monate nach Kolkata zurueck um in einem nahegelegenen Waisenhaus, in dem ich die beiden auch kennenlernte, auszuhelfen. Waehrend Annelies schon ein paar Wochen frueher den Heimflug anzutreten gedachte, entschlossen Gora und ich uns ueber koestlich duftenden Waffeln kuzerhand dazu, dass verlaengerte Wochenende in Varansi zu verbringen.
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Die uns begnenden Inder sahen sich bei unserem Anblick vor ein wunderliches Raetsel gestellt, dessen Aufloesung sie dann mit glaenzenden Augen auf die Schliche gekommen zu sein meinten, als sie mir von Stolz erfuellt die Hand schuettelten und sich daran erfreuten, in mir eine Halb-Bengalin zu erkennen, die mir ihrem Vater reist. Wenn auch ungewoehnlich, ist nicht zuletzt dieser Eintrag - eine Verbindung aus meinem Wort und Goras festgehaltenem Bild – Zeichen unserer perfekt passenden Reisekombination.
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Varanasi ist ein Schauplatz des Lebens – der Geburt, dem Tod und dem kurzen Moment, der zwischen ihnen steht – welches sich entlang der Ghats, den Toren zum verehrten Ganges, in unglaublicher Vielfalt entfaltet. Auf den steinernen, zum Wasser hinabreichenden Stufen kommen Menschen zusammen um zu beten wie betteln, sich und ihre Kleider “rein“ (eigentlich sollten die Anfuehrungszeichen nur so herniederieseln) zu waschen, den Goettern zu huldigen oder aber um zu Asche zu verbrennen und an diesem heiligsten aller Orte Eins mit dem grossen Ganzen zu werden.
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Mit dem Sonnenuntergang verwandelt sich die heilige Ader Indiens allerdings eher in einen mythischen Fluss der Unterwelt, auf dem vereinzelt leuchtende Oellampen schwimmen und die letzten Gondeln lautlos ueber das truebe Wasser ziehen. Ein gespenstisches Bild, welches durch die niederbrennenden Ueberreste der gluehenden Scheiterhaufen, um die wie ein Lagerfeuer gescharrt Bestatter und Tier (schon vollkommen unempfaenglich fuer den beissenden Geruch von verbrennendem Fleisch) gleichermassen Waerme suchend versammelt sitzen, nur noch verstaerkt wurde.

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Die Stadt selbst ist ein wirres Gassenlabyrinth voller versteckter Winkel und Nischen und es ist wahrlich eine Herausforderung sich durch die ohnehin schon engen Strassen an einer uebertraechtigen Kuh vorbei zu schlaengeln – und selbst wenn dieses Hindernis genommen sein sollte, steht man aller Wahrscheinlichkeit nach trotzdem in einem der noch warmen Kuhfladen – zumindest meinte es das Glueck ueberaus gut mit mir... Ueberall ragen die verzierten Tempeltuermchen hervor und saeumen sich alte, knorrige Wunderbaeume, in deren Geaest sich nicht nur muntere Affen tummeln, sondern auch viele der kunterbunten Papierdrachen verfangen haben, die einst in den Haenden der Kinder ueber den stets Wolken verhangenen Himmel Varanasis tanzten.

Auch wir begaben uns in das hastige Gewuehl und besuchten einige der Tempel, aus denen man wie ueberall ein richtiges Geschaeft zu schlagen scheint und Priester die Opfergaben in Scheinen auszaehlen, waehrend die Glaeubigen von Sicherheitsmaennern schnell, schnell dazu aufgefordert werden von einem Altar zum anderen zu hetzen. Doch wirklich fuehlen konnte ich Varanasi wohl nur, wenn wir schweigend an den Ghats sassen und unsere Sinne fuer sich erleben liessen, was sich nicht in Worte fassen laesst, waehrend vorerst noch bettelnde Kinder meine Haare mit Freuden zu kleinen verknoteten Zoepfen flochten.
Mitunter erschien mir dieser Ort jedoch auch wie eine blosse Kulisse fuer die Scharen von „Foreigners“ (zu denen ich unumgaenglicher Weise ja auch zaehle :)), die im Flutlicht von kuenstlich angebrachten Scheinwerfern ein Foto nach dem anderen knipsten. Auch wenn ich nicht zu letzt Dank Gora wieder um so viel Wissen und Erfahrung reicher bin und dieses unerkannte Land nur zu gern in all seinen Facetten kennenlerne, weiss ich einmal mehr, dass ich „meinem Indien“ wohl nicht anhand der im Reisefuehrer als Sternchen angefuehrten Orte naeher sein koennen werde...

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Stiller und friedvoller verzauberte mich das 10 Kilometer entfernte Sarnath. Gautama Buddha erwaehlte diesen kleinen Ort als Gegenstueck zur hinduistischen Hochburg Varanasi um zum ersten Mal die Grundlagen seiner durch die Erleuchtung gewonnenen Erkenntnis zu predigen. Auch wenn sich die einstigen Stupas nur noch als sandfarbene Ruine erahnen lassen, verleihen die in orange farbene Kutten gehuellten Moenche mit ihren wunderschoenen vollen Gesichtern – ein jedes ein Gemaelde in sich - den Zeugnissen vergangenen Lebens eine liebliche Atmosphaere.

Zurueck in Kolkata, das ich nun schon nach wenigen Tagen vermisse; zurueck zu tagelangen Strom- und Wasserausfaellen; zurueckgekehrt in die Stadt, die durch beliebige Feiertage und Streiks, deren Veranlassung keiner zu erklaeren weiss, still liegt; zurueck auch in meiner Schule, in der zur Zeit ein Marathon an Endjahres-Examen zu bewaeltigen ist und meine Morgende daher damit beginnen, mit den Kleinen Lieder und Taenze fuer das alljaehrliche Schulkonzert einzustudieren.
Ich habe mich wirklich auf diese Abwechslung im tristen Schulalltag der Kinder gefreut und wollte die Lehrerinnen voller Euphorie bei den Proben unterstuetzen, doch sollte das, was fuer mich zunehmend zu einem Kampf wird, mal wieder meine Vorstellungen uebersteigen: nach der ersten Woche wurde zum Mikrofon gegriffen, da die Stimmen der Lehrer ob des dauernden Schreiens und Bruellens zu einem Fluestern versiegt waren und auch die Androhungen „auf direktem Weg durchs Fenster in den vor der Schule befindlichen Tuempel geworfen–“ alternativ dazu „im Schrank eingesperrt zu werden“, aus den 3 und 4-Jaehrigen keine leidenschaftlicheren Taenzer machten. Ganz im Gegenteil scheinen sie eher immun gegen Wort, Lineal und antreibenden Schlag, was ich von mir noch lange nicht behaupten kann. Dabei weiss ich, dass die Lehrer den Kindern nicht mutwillig weh tun wollen, versuche mich daran zumindest staendig zu erinnern und sie sich einfach nur keiner anderen Mittel zu bedienen wissen, um das von Oben angeordnete, vorzeigbare Programm rechtzeitig (denn darum - und nicht etwa den Spass - geht es vorallem) fertig zu stellen. Ich selbst tanze auf einem wackeligen Seil, in dem ich einen Mittelweg zu finden suche, der es mir erlaubt den verletztlichen Jungen und Maedchen mit Liebe und Geduld die erdachte Schrittabfolge beizubringen ohne mich wiederholt bei der Schulleitung einfinden zu muessen, da ich es wagte die Mittel der Disziplinierung zu hinterfragen.

Sonntag, 4. Januar 2009

(K)ein Tag wie jeder andere

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Auch wenn es in diesem Jahr gewiss kein vorweihnachtlicher Wahnsinn gewesen ist, dem es zu entfliehen gegolten haette und nur die von bunten Lichterketten hell erleuchtete Stadt auf eine besondere Zeit im Kalender hinwies, begab ich mich in den Winterferien fuer wenige Tage gemeinsam mit dem zu Besuch seienden Felix voller Vorfreude auf Reisen, die uns unbesonnen entlang der Kueste des benachbarten Bundesstaates Orissa fuehren sollte.
Am Morgen nie wissend, wohin uns unsere Fuesse im Laufe des Tages tragen wuerden, genossen wir die naechtliche Fahrt auf einem Traktor entlang eines einsamen Strandes, den aufstobenden Sand auf der Haut spuerend und das weite Dunkel nicht ausmachen koennend; verliefen uns in doerfliche Gegenden, in denen gesalzene kleine Fische (deren Fleisch zuvor von dicken weissen Maden aufgefressen wurde) zu Hauf an Waescheleinen trockneten um spaeter in ganz Indien als Delikatesse verkauft zu werden; liessen bei rasanter Fahrt auf dem Dach eines Jeeps das blonde Haar vom Wind zerzausen; labten uns an der Gastfreundschaft skurriler Bekanntschaften, die mitten in der Nacht aus dem Nichts auftauchten um uns vor noch groteskeren Gestalten zu warnen und konnten mithin in jeder der kleinen Staedte und Doerfer verwundert die kaum merklichen feinen Unterschiede in Mensch und Natur ausmachen.
An manchem Abend fuhren wir einfach um des Reisens Willen mit einem der ueberfuellten Busse; liessen uns von unbestimmten Zielen treiben und belaechelten froehlich - eingequetscht auf zuzaetzlich im Gang positionierten Plastikstuehlichen hockend - die in pinke Glitzerschals, pelzige Pudelmuetzen und ausgewaschene Mickey-Mouse Pullover verhuellten Inder.
Mein Hoervermoegen duerfte ob der unermuedlich laustark dudelnden, die Nacht zerreissenden Hindimusik allerdings sehr in Mitleidenschaft gezogen worden sein und so suchten wir gelegentlich auf der Bank neben dem Busfahrer sitztend, Zuflucht im donnernden Brummen des Motors - den aufregenden Panoramablick durch die verschmierte Fensterscheibe geniessend. Verzaubert hielt ich etliche der vorueberziehenden Momente bewusst in Kopfbildern fest, auf dass sie dort, wenn auch nicht dem Hochglanzpapier, noch ein wenig laenger weiter leben moegen...
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In Puri, einem der heiligsten Pilgerorte Indiens, begegnete ich auch zum ersten Mal den „wahren Indienreisenden“, die in eine esotherische Rauecherstaeb- chenwolke eingehuellt
leichtfuessig entlang des Strandes taenzelten und so in weite Leinenhosen gekleidet der vergangenen Hippiebewegung ihren letzten blumigen Dienst erwiesen. Ich will mich nicht ein mal mehr darum bemuehen meinen Anflug arroganter Ueberheblichkeit und stechenden Missmutes angesichts dieses in den Westen getragenen "alternativen Indiens der Selbstfindung" kritisch zu hinterfragen, denn ich kann unmoeglich nachvollziehen, wieso man sich auf die Suche der inneren Erleuchtung begeben sollte, wenn man diese doch in den lachenden Augen der am Strand den Wellen nachjagenden Kinder finden kann!
Diese kriechen jeden Morgen mit der sich ihren Weg durch den Dunstschleier bahnenden Sonne aus den dunklen Huetten ihres Fischerdorfes (das seinem Namen keine Ehre macht und vielmehr einen grossen Slum gleicht), welches sich unweit des „Peace-Restaurants“ und nur wenige hundert Meter vom „Woodstock-Café“ entfernt, erstreckt.
Wie so oft erfuellten mich Stroeme warmen Gluecks und einhergehendem fassungslosen Unglauben, als ich auf einem frueh morgendlichen Sonnenaufgangs-Spaziergang, vorbei an langsam verwesenden gestrandeten Riesenschildkroeten, beobachten konnte, wie Frauen schwere Kruege mit Salzwasser fuellten und auf ihren Koepfen zurueck in ihre Behausungen trugen; Maenner allen Alters mit vereinter Kraft die schwerfaelligen Bambusboote ins Wasser zogen und fuer den ersten Fang in die offene Brandung des Meeres hinaus fuhren; waehrend die Kinder Muscheln sammelten, mit Krebsen spielten oder schnatternd, ihren Blick gen Horizont gewandt, den Strand zu einer oeffentlichen Toilette verwandelten.

Kaum in Kolkata zurueckgekehrt, welches ich mit (dem) Felix neu und anders kennenlernte und nach langer Zeit besonders die Gelegenheit des so von mir gemissten Austausches, Mitteilen-koennnens und Verstanden-werdens schaetze, folgte ich der Einladung Robin-das gemeinsam mit 40 Dorflehrerinnen und Angestellten den Jahreswechsel in Puri zu verbringen. Fuer sie, die mit dem wenigen verdienten Geld gerade so duerftig ihre Familien ernaehren koennen, sollte es die Gelegenheit sein das Meer zu sehen und ihr Land ein wenig besser kennenzulernen. Gern zog ich mit ihnen - diesmal jedoch als indische Touristin. Als diese verschlug es mich an den ueberlaufenen Teil des Strandes, der mit seinen zahllosen kleinen Marktstaenden und Karussells eher einem immensen Volksfest gleicht. Es gibt dort Zuckerwatte und manch andere Leckerei zu kaufen; Maenner preisen kostbare Perlen und Korallen an; Fotografen draengen darauf, einen Urlaubsschnappschuss festhalten zu duerfen und wer will, kann sich fuer ein paar Rupien sogar zwischen den Hoeckern eines ueppig mit Neonblumen geschmueckten Kamels ein paar Meter am Strand entlang zerren lassen.
Die eigentliche Attraktion ist jedoch das Meer, dessen starke Stroemung gigantische Wellen entstehen laesst. Da die allermeisten Inder jedoch nicht schwimmen koennen, baden und planschen sie vorzugsweise vergnuegt in den auslaufenden Schaumwogen, was auch ich nach einem ersten Versuch weiter hinaus zu schwimmen besser tat, da ich nicht nur damit zu kaempfen hatte nicht in den Wogen unterzugehen, sondern - und dies obwohl ich es den indischen Frauen gleich tat und in Salwar Kameez gekleidet das kuehle Nass meine betrat -zusaetzlich die grapschenden Haende luesterner Inder von mir zu halten, die sich jede Welle zu Nutzen machen wussten...
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Aus jedem erdenklichen Winkel der Stadt blinzeln einem die grossen Kugelaugen der als Holzfigur dargestellten Gottheit Jagannath zu, die mich jedes Mal entzueckt laecheln, aber auch vergessen liessen, dass es sich bei ihm um den gefuerchteten Herrscher des Weltalls (letzten Endes aber auch nur eine der vielen Inkarnationen Krishnas) handelt, dessen beruehmter Tempel scharweise Glaeubige anzieht. .
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Mehrmals taeglich zieht dieser "Baba" humpelnd seine Runden um den Tempel, auf dass er mit sagenhaften Yoga-Bewegungsabfolgen, zu denen ich seinen knoechrigen Koerper nicht faehig geglaubt haette, den Goettern gen allen Himmelsrichtungen Ehrerbietung dabringt.


Ferner sind auch die umliegenden Staedte reich an Tempeln und spirituellen Staetten. Ungeachtet dessen, dass Nicht-Hindus der Zutritt vieler Anlagen unerlaubt ist oder einen hohen Eintrittspreis fuer auslaendische Touristen bedingt, betrachtete ich die hunderte von Jahre alten Kunstwerke von Aussen und folgte durch die Gegend irrend der Tee-Einladung eines Babas, von dem niemand weiss wie alt er ist, nicht ein mal mehr er selbst... Ein wenig mulmig wurde mir dann dennoch zu Mute, als ich fasziniert mit ansah, wie die leblosen schwerfaelligen Koerper der Toten in aufwendigen Zeremonien verbrannt wurden.


Was ist da angesichts eines im Morgendunst stehenden Sonnentempels schon ein verpasstes, fremdbestimmte Silvester? Das kleine, an der Rezeption unseres Hotels sitzende Wurzelmaennchen, welches mit einem Bein im Grab und dem anderen irgendwo in einem Museum fuer antike Kunst stehen sollte, tyrannisierte unsere versammelte Gruppe so lange (Sumita vermutete in ihm eine Wiedergeburt Hitlers), bis wir endlich einsehen mussten, dass er die um 22 Uhr verschlossenen Tore wirklich nicht mehr oeffnen wuerde und so stuermte ich vergnuegt lachend die Treppenstufen hinauf, um noch vor Mitternacht zu schlafen und den Uebergang in das neue Jahr bewusst an mir vorueberziehen liess.


Nun steht mir, uns allen, erneut ein unbekanntes (indisches) Jahr bevor; viele, viele Tage, die darauf warten gefuellt, gelebt und bis zum allerletzten Tropfen ausgekostet zu werden und ich sehe ihnen voller Spannung und sprudelnder Lust entgegen und hoffe von ganzem Herzen, dass auch ihr auf eurem ganz eigenen Wege so machnchen Tag mit funkelndem Glanz erhellen koennt.

Sonntag, 14. Dezember 2008

Selbst wenn der Vorhang faellt

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Waehrend alle uebrigen Bewohner Kolkatas zunehmend vergeblich auf den frische Kuehle bringenden Winter warten und selbst die Autorickshawfahrer, deren Gefaeherte alleweil schwarze Rauchschwaden aus ihren Auspuffen aufsteigen lassen, auf die globale Erwaermung schimpfen, haben ich es aufgegeben auf einen Tag zu hoffen, an dem ich von Musse, Zeit und einem Draengen das Erfahrene in wenige Zeilen zu kleiden, aufgesucht werde und so zwinge ich mich denn nun darum sie zu finden, bevor ich mich endgueltig in ihr verliere.

Viele muehsam erkaempfte Stunden, Tage, Wochen, ja letztlich Monate haben die 25 Jungen und Maedchen der 7. Klasse und ich gemeinsam an unserem Theaterstueck gefeilt, gebastelt und eifrig geprobt; lachend diskutiert, gestritten und die Buerden des Schulalltags miteinander geteilt, der mich die sonst so stuermisch-lebhaften Kinder manchmal mehr an die Besucher einer Beerdigung erinnern liess, wenn sie mal wieder den schweren Schatten einer der Bestrafungen mit sich zogen. An eben diesen haben wir auch Rija verloren, der es seit dem ihr Tagebuch vor der Schule vorgelesen wurde und ihre Eltern dadurch herausgefunden haben, dass sie sich einst mit einem aelteren Jungen traf, verboten ist zur Schule zu kommen.
Am 10. Dezember dann, anlaesslich des internationalen Menschenrachtstages, wollten wir unser Kinderrechts-Stueck das erste Mal vor der Schule auffuehren und auch wenn ich inzwischen weiss, dass nichts so sein wird, wie urspuenglich vorgesehen, habe ich doch nicht ahnen koennen, dass die Hindernisse uns an diesem Tag gleich in mehrfacher Ausfuehrung heimsuchen wuerden.
Mit dem Nationalfeiertag am 9. Dezember begann das drei Tage lang andauernde Eid-Festival der Muslime, was von den Schulen jedoch weitestgehend ignoriert wird und nicht, wie etwa waehrend des hinduistischen Durga Puja – Festes mit schulfreien Tagen anerkannt wird. Zum Gedenken an Abraham, der auf Geheiß Gottes statt seines Sohnes einen Widder opferte, werden zu diesem Fest weltweit Millionen von Tieren geschlachtet - so auch in Indien. Meine Jungs haben mich schon im Vorab eifrig ueber die Traditionen und Bedeutung dieses Tages aufgeklaert und mir sehr lebhaft vorgefuehrt, wie es ihnen zugedacht sei voller Stolz eine Schale an die Kehle der Kuh zu halten, bis diese sich mit Blut gefuellt haette.
Schon am Vorabend standen in muslimischen Vierteln die stolzen und praechtigen Tiere mit ihren Blumengeschmueckten und bemalten Hoernern, das letzte Stroh in ihren friedmuetigen Maeulern gemaechlich zermalmend in den Strassen angeleint - den blutroten Morgen nicht erahnend. Auch wenn ich die Koepfe nicht fallen und das Blut nicht rinnen sah (dem Anblick der gestapelten Tierhaeute jedoch nicht entgehen konnte), war dieser Schlachttag der Schauerlichkeit in seiner Atmosphaere einzigartig und ich bewunderte die vielen in weiss gekleideten Maenner, die einem Teppich gleich gen Mekka betend, am fruehen Morgen das Druchkommen in engen Gassen unmoeglich machten.
Wenn auch auf die Kinder und ihr Versprechen in der Schule zu erscheinen zu zaehlen war, bestanden doch einige der Eltern darauf ihre Soehne an diesem Tag zu Hause zu behalten um ihren unentbehrbaren Part in der Zeremonie auszufuellen und eine Luecke in unserem Stueck zu hinterlassen.

Hinzu kam der in den Zeitungen angekuendigte Busstreik, der die Stadt lahm legte und mich am naechsten Morgen auf jeden einzelnen Schulbus wartend bangen liess. Als man mich spaeter ueber den Hintergrund des Streiks aufklaerte, war ich noch viel unglaeubiger und entsetzt, denn die Busfahrer lehnten sich vereint gegen ein neu entworfenes Gesetz auf, welches dafuer Sorge tragen sollte, dass sie in Zukunft zur Verantwortung gezogen werden koennten, wenn ein Fussgaenger unter ihren Raedern zu Tode kommen sollte, was angesichts des unuebersehbaren Verkehrs keine Seltenheit ist. Bisher war es immer an dem Fahrer, seine Beine schnellstmoeglich in die Hand zu nehmen und vor dem aufgebrachten Mob zu fluechten, der ihn richtend zu Tode schlagen wuerde. Die Rechtslage ist, auch ungeachtet dessen, dass die meisten Gesetzte ohnehin nur schwere Baende fuellen, in der Realitaet aber bedeutungslos sind, allerdings keineswegs so einfach. Nur wer einst selbst Teil am Brausen der Strassen Kolkatas nehmen konnte wird einsehen, wie umstritten ein derartiges Gesetz angesichts nicht minder ruecksichtsloser Fussgaenger ist, die waghalsige Versuche unternehmen, um regellose Krezungen zu ueberqueren - worin ich wohl keine Ausnahme bilde. :)

In reduzierter Zahl und ob des Gleichmuts der Schulleitung beschlossen wir dann dennoch unser Stueck in kuzerhand abgeanderter und improvisierter Form aufzufuehren und uns den Umstaenden nicht zu ergeben. Auch wenn Ernuechterung, Aerger und Unverstaendnis sich in mir zu einer erdrueckenden Mischung aufkochten und ich sehr darum kaempfen musste, dem Ganzen nicht einfach mit vollkommener Gleichgueltigkeit gegenueberzutreten; es mir ebenso egal wie allen anderen Lehrern und Beteiligten sein zu lassen. Dass zu guter Letzt auch noch die Assembly-Hall von den tanzenden Kindergartenkindern besetzt war und wir in Sonnengewand und Soldatenuniform mitsamt unseren Requisiten die Treppe hochstapfend in einen der kleinen Klassenraeume umziehen mussten, ging in dem aufgeregten Trubel fast gaenzlich unter und wir zelebrierten uns und den Wahnsinn anschliessend mit Eis und „German Games“ in unserem kargen Matsch-Schlamm-Feld.

Ich habe unglaublich viel gelernt - ich, die ich mich ohne jegliche Erfahrung dastehend zu anfangs fragte, wie es mir ueberhaupt gelingen solle ihnen so abwechslungreich aber auch eindringlich wie moeglich zu vermitteln, dass das Leid eines szenisch dargestellten Kindersoldaten aus dem Kongo nur symbolisch fuer eine grosse, blinde Ungerechtigkeit steht, die auch sie jeden Tag ihrer Rechte beraubt und unser Spiel Mittel zum Zweck ist, dass sie Kraft schoepfen muessten um aufzustehen.
Auch glaubte ich das Dementieren eines Lieblingsschuelers oder Kindes von Lehrern und Eltern endlich als unaufrichtig entlarvt zu haben, fand ich mich doch ploetzlich in einer Situation wieder, in der ich sehr stark darum bemueht war sie nicht spueren zu lassen, dass mir der eine Junge lieber als der andere war. Indessen erkannte ich auch darin spaetere Unwahrheit und spuerte, wie ich vielmehr jedes Kind fuer sich auf eine jeweils andere Art und Weise zu lieben und schaetzen lernte, mich mit ihrem Wachsen und Wandeln freute und das Anstellen eines Vergleiches die Probe nicht bestanden haette.
Symbolisch dafuer steht der kleine Sagnik, der permanent unberechenbar und hitzig durch die Gegend wuselt, von Tischen springt und sich verletzt, mich zu meinem Geburtstag mit einer Kuscheltierbiene ueberrascht, mir aber auch angsterfuellte Stunden mit seinem aufgewuehlten Vater bescherte, der nach einer gemeinsamen, ausserschulischen Probe seinen Sohn abholen kam, diesen aber nicht vorfand, da er es vorzog entlang der dicht befahrenen Hauptstrasse allein nach Hause zu schlendern und mich berechtigter Weise zur alleinigen Verantwortung zog. All die Aufregung, die kleinen und grossen Freuden und auch der Aerger bilden irgendwann ein Ganzes, ihn, einen in sich geschlossenen Menschen, der mit Einfuehlvermoegen und Geduld nicht nur ueber die Erwartungen der ihn aufgegeben habenden Lehrer, sondern auch sich selbst hinauswachsen kann.