Oh wie lang, wie oft und intensiv habe ich
Es sollte anders kommen; ganz, ganz anders, als mich meine Wege durch die unueberschaubare Stadt, vorbei an Barbieren; kleinen beweihraeuhcherten Tempelbuchten; bewundernswerten Bambuskonstruktionen, die nur darauf warten anlaesslich des nicht mehr lang ausstehenden Durga Pujabs, DEM Festival Kolkatas, reich mit Blumen geschmueckt zu werden; auch entlang eines Cafes fuehrten, in dem sich die besserbemittelten Inder an westlichen Suessigkeiten labten. Auf der anderen Seite, vor der die beiden Welten abgrenzenden, durchsichtigen und doch unzerbrechlichen Scheibe aus Glas, die nicht mehr als einen hoehnischen Blick gewaehrte, standen zwei in Lumpen gekleidete Kinder, die ihre Koerper gegen das Fenster pressten, waeherend sie immerzu die gleiche Hanbewegung mimten und ihre kleinen schmutzigen Finger zu ihren Muendern fuehrten. Es kann sich nur um den Bruchteil einer Sekunde gehandelt haben, in dem das Maedchen mich erblickte und ihr ihre doch so perfekt sitzenden Gesichtszuege entglitten, sich zu einem teuflischen Grinsen verzogen, welches mich noch Tage spaeter erschaudern lassen sollte und den Jungen ganz aufgeregt, in dem Glauben von mir unbemerkt zu sein, auf mich aufmerksam machte. Das “Spiel” erneut aufnehmend stuerzten sie sich auf
Viel erschuetternder hingegen – und dies traf
Es ist die staendige Betonung von unerbitterlicher Disziplin und Ordnung, einer aufoktruierten, jedoch keiner, der Naeherboden geschaffen werden wuerde um freimuetig und stolz zu reifen, welche den Schulalltag bestimmt und die Einhaltung derer das eigentliche Lernen in den nebligen Hintergrund treten laesst… Doch wie gebe ich der Lehrerin einer Gruppe von 4-Jaehrigen zu verstehen, dass der rote Haendeabdruck auf dem kleinen braunen Aermchen eines Maedchens, nachdem es wirsch hin- und hergeschuettelt wurde, auch Spuren auf meinem Herzen hinterlaesst und mir jedes Wort versagt? Wie lasse ich widerum eine andere Erzieherin einer mit 30 3-Jaehrigen Maedchen und Jungen viel zu grossen Gruppe, ungeachtet des Strom - und daher Ventilatorausfalls – zu stillem, reglosen Sitzen auf den Holzstuehlchen aufgefordert, wissen, dass ein lautstarkes Knallen mit dem Lineal und ein Zurechtweisen mit eben diesem, was unausweichlich dem Einpferchen von Ferkeln gleicht, vielleicht fuer den Moment Ruhe einkehren laesst, jedoch etwas viel kostbareres einbuesst – unantastbare Menschlichkeit?!
“In Deutschland halten wir das aber nicht so!”, ja, in Deutschland… in Deutschland sind die Kindergartengruppen auch nur halb so gross; in Deutschland besteht ein Kindergarten nicht aus einem einzigen, schlichten Raum, sondern umfasst ein weites Gelaende von Wiesen und Klettergeruesten, wo im Nachbarraum eine andere Klasse nicht beim Auswendiglernen gestoert wird, wenn man lacht, tobt und schreit; in Deutschland muessen Kinder im Alter von 4 Jahren nicht schon Lesen, Rechnen und Schreiben koennen und die ersten Worte einer Framdsprache erlernen, denn in Deutschland ist man mit allen Mitteln darum bemueht ihnen etwas zu gewaheren, was hier nicht einmal als blosse Idee existiert – eine unbeschwerte Kindheit.
Sehr vorsichtig habe ich eines Abends dann doch den Vorstoss gewagt und Purtul, die Lehrerin, welche das Lineal als verlaengerte Hand zu gebrauchen pflegte, darauf angesprochen, dass es mir schwer faellt daran zu glauben, dass dies der richtige Umgang mit den Kindern sei und sie selbst spueren lassen, was fuer einen Unterschied es doch macht, wenn ich ein Kind mit einem Stock auf seinen Platz weise, oder aber es sanft mit meiner Hand zu seinem Stuhl geleite. Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, dass sie nie wieder zu diesem hoelzernen Utensil greifen wird, doch sah sie fuer den Moment bedaechtig nickend ein und am Wochenende wollen wir gemeinsam ein Memory-Spiel basteln, damit die Kinder beim naechsten Stromausfall anders beschaeftigt werden koennen, als stumpf auf ihren Plaetzten zu verharren.
Dass ich als Represaentantin der Schule, da die gesamte Lehrerschaft ihre Zeit in die Beaufsichtigung der Examen stecken musste, der ins Haus flatternden Einladung zu einer Dokumentation des indischen Schulsystems der “Teachers Foundation” folgen konnte, oeffnete mir nicht nur die Augen, sondern liess mich vorallem erkennen, dass meine Glaube daran, an einer entwuerdigenden Schule gelandet zu sein, mit Nichten der Realitaet entspricht. Was ich in dem 45 minuetigen Filmabschnitt, der ohne in “Weiss” oder “Schwarz” zu unterteilen einen Gesamtbild unterschiedlichster indischer Schulen aufzuzeigen beabsichtigte sah war schockierend, verstoerend und von mir als laengst vergangen gelaubt: Schueler, die in Reih und Glied zum morgendlichen Apell antreten muessen, deren Haar, Schuhe und Uniform auf makellose Reinlichkeit geprueft werden; Kinder, die grob aus der Masse gezerrt werden, wenn sie nicht stramm genug stehen und brave Maedchen “besserer Schulen”, deren Koepfe akkurate Zoepfe ziehren, die von der Notwendigkeit nie in Frage gestellter Disziplin sprechen… Es sind die Lehrer, wenn auch sie nur Opfer einer mangelhaften Ausbildung sind, die ihren Zoeglinge das “Rechts, links, recht, links…” einzahelen und sie vor die Wahl stellen, ob sie zuegellosen Pferden, oder aber stolzen Soldaten gleichen wollen. Der Film sprach fuer sich, doch die ersten, erleichternder Weise die einzigen dieser Art, Worte des Mannes neben mir, der sich in der anschliessenden Diskussion elanvoll erhob und verkuendete, “dass diese Bilder eindeutig verdeutlichen wuerden, dass wir unsere Schueler besser unter Kontrolle bekommen muessten”, bildeten leider kein zynisches Gegenstueck, sondern stehen stellvertretend als ernstgemeinter Ausdruck fuer ein Land und dessen Menschen, welches glaubt dem fernen Westen nur so, mittels unangefochtener Duldsamkeit, Fleiss, Gehorsam und Ergebenheit langsam, in kaum merklichen Schritten, entgegen zu gehen.