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Schon mein Irren durch die tiefen Gefilde der Botschaft Bangladeshs, nachdem man mich denn bei meinem 4. Anlauf endlich zu einem persoenlichen Gespraech vorlud (im Vorab eindringlichst dazu ermahnt kein Wort ueber unsere „wahre Mission“ oder mein Dasein als Freiwillige zu verlautbaren, da dies die Garantie fuer eine Verweigerung des Visas gewesen waere) ist fuer die dort vorherrschende politische Lage wohl sehr bezeichnend. Doch Mr. Mukherjee hatte nun einmal beschlossen die arbeitsfreie Ferienzeit der Weiterbildung und Einholung neuer Ideen zu widmen, um diese dann bestmoeglichst in unsere Projekte zu integrieren und da sich kaum ein Ort besser dazu eignen wuerde „Feldstudien“ zu betreiben als Bangladesh - dessen Bestehen groesstenteils der grundlegenden politischen Arbeit zahlreicher NGOs zu verdanken ist -, machte ich mich gemeinsam mit der gesamten Familie Mukherjee; Sumita, der Sekretaerin und Gopal-da, dem ueber 70 Jahre alten, befreundeten Buergermeister in einem der umliegenden Doerfer, dessen stichelnder Humor und einnehmender Charme mich auch ueber sprachliche Barrieren hinweg taeglich beglueckte, auf in das unweite und doch um Welten ferne Nachbarlande..., waren sie doch ehemals Eins.
Bangladesh, nein ich kann wohl nur von Dhaka berichten, ist um so vieles gruener, sauberer und auf den ersten Blick auch reicher als Kolkata. Keine sich tuermenden Muellberge; kaum merklich, nur vereinzelt an den Strassen bettelnde Menschen und selbstverstaendlich ward auch keine einzige, gemuetlich einhertrottende Kuh zu erblicken, denn in einem muslimischen Staat ihres unantastbaren Heiligtums beraubt, sind Kuehe als eine „ergibigere“ Kreuzung zwischen indischem und deutschem Tier ausschliesslich auf Gitterrosten in engen Staellen stehend, aufzufinden. Derartige Unterschiede treten in Anbetracht der ueberall und nirgendwo anzutreffenden, wenig einladend aussehenden, bewaffneten Soldaten jedoch in den Hintergrund und je mehr ich ueber die seit 2 Jahren vorherrschende politische Notstandssituation erfuhr, die eine Militaerregierung das Feld betreten liess, desto inniger sehnte ich einer baldigen Rueckkehr entgegen.
Die ersten beiden Tage verbrachten wir im Trainingszentrum der Organisation „Proshika“, welches nicht nur der Ausbildung zukuenftiger Entwicklungshelfer aus aller Welt, sondern auch als Modelldorf dient, in dem den Bauern der Umgebung und des ganzen Landes aufgezeigt werden soll, dass es durchaus moeglich ist oekologisch wertvoll, ertragreich und von auesseren Umstaenden wie Ueberschwemmungen unabhaengig, ein selbstbestimmtes Leben fern der Armut zu bestreiten. Ich war und bin immer noch unglaublich fasziniert von dem, was dort geschaffen wurde und auch ein wenig ueberfordert, denn zwischenzeitlich draengte sich mir immer staerker die Frage auf, was ich mit all dem neuerlangten Wissen und den tiefen Einblicken anstellen sollte - inwiefern ich letzten Endes wirklich bereit bin mein Leben derartiger Arbeit voll und ganz zu widmen... . Eines ist hingegen klar: das als unmoeglich Verschrieene ist durchaus moeglich, doch bedarf es jeder Menge Arbeit, (Selbst)Aufgabe und dem Glauben an die Vision.
Wenige Menschen haben hier undenkbar viel geschaffen und sind mittlerweile sogar vollkommen unabhaenig von fremden Geldern, was keineswegs ueblich ist, denn nahezu alle in die Hoehe geschossenen Gebdaeudekomplexe in Dhaka gehoeren NGOs an, da auslaendische Investoren ueber Jahre hinweg ihr Geld gelassen haben (ob eines gewissen Prozentsatzes der Entwicklungshilfe zugedachter Gelder gar lassen muessen); keineswegs uneigennuetzig, denn ihnen erschloss sich so allmaehlich auch der Markt und damit erklaert sich beispielsweise, weshalb auffaellig viele japanische Autos den Strassenverkehr dominieren.
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in eben dieser Reihenfolge: der ueberaus liebenswerte Gopal-da; der Proshika-Mensch, dessen Namen ich nie behalten konnte und Mr. Mukherjee selbst, dessen Mimik stets ein wenig, nun ja, leblos erscheint, doch ich bin darum bemueht IHN zu sehen und mich davon nicht abschrecken zu lassen :).
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Gruender der schon fast einem Konzern gleichenden Organisation war ein enger Freund Mr. Mukherjees, der erst kuerzlich mittels seiner Kontakte aus dem Gefaengnis entlassen wurde. Seine Gefangenschaft hatte er der gegnerischen Partei, die ihn unter fadenscheinigen Gruenden hinter Gitter befoerderte, zu verdanken und die es nicht all zu gern sieht, dass dieser strahlende Mann, der sich die meiste Zeit seines Lebens dem Kampf gegen die Armut widmete, nun auch noch auf politischer Ebene um einen hohen Sitz kandidiert, in der Hoffnung noch einschlagendere Veraenderungen zu bewirken. In zahlreichen Gespraechen lernte ich durch ihn allmaehlich verstehen, fuegte sich ein Bild zusammen - auch wenn ich wahrscheinlich immernoch weit davon entfernt bin die verstrickten Zusammenhaenge gaenzlich zu durchschauen.
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Die Abende genossen wir gemeinsam mit den Dorfbe- wohnern, die einen atem- beraubenden Feuertanz- wettbewerb auffuehrten; dem sanften Spiel eines am ehesten einem Akkordeon aehnelnden Instrumentes, welches von dem erzittern lassenden Gesang einer sehr armen Frau zu den Worten Tagores (oh, wie ich ihn mit jedem Lied, jedem Gedicht, jedem Wort mehr verehre...) begleitet wurde oder aber Tee trinkend, den undurchdringlichen Wald aus Palmen, Mangobaeumen und Gebueschen von einem hohen Dach aus bewundernd und die dunkler werdende Nacht an uns vorueberziehen lassend... .
Mich daran zurueckerinnernd, scheint die mich teuer zu stehen gekommene Lektion, welche mich der Aufenthalt lehrte, ein mal mehr nichtig zu sein, doch da auch der zigste gut gemeinte Ratschlag und mir ans Herz gelegte Hinweis mich nicht davon abhalten konnten koestlich duftendes, in den Strassen Indiens zubereitets Essen zu mir zu nehmen und mich dies vor einigen Wochen fuer mehrere Tage in Form einer mich schuettelnden Magen-Darm-Infektion auf widerlichste Weise laehmte, hat es wohl nicht anders sein sollen und ich musste in Bangladesh beizeiten feststellen, dass es ein Irrglaube ist, anzunehmen, es wuerde ausreichen Hab und Gut in der abgeschlossenen Unterkunft zurueckzulassen. Ja, ich habe mich ein wenig darueber geaergert, dass muehevoll und nicht immer gern verdientes Bijou-Brigitte-Geld „verloren“ ward, doch noch viel mehr darueber, dass alle glaubten ich waere deshalb so veraendert. Nein, viel mehr stoerten mich die Umstaende; dass unsere an „Proshika“ anschliessenden Tage uns auf Grund der politischen Situation weitere Besuche anderer Einrichtungen unmoeglich machten und ausgedehnten Einkaufstouren (etwas, das mich auch in Deutschland nicht uebermaessig erfreut und mich dem daher enthalten liess) und Essgelagen bei alten Freunden galten und ich mich nach dem Erlebten damit nicht umgeben wollte. Ausserdem der mich beschleichende Glaube keine Berechtigung zu haben dem verlorenen Mammon nachzutrauern, da dieser Verlust verglichen mit dem Lebensstandart der mich umgebenden Menschen mehr als nur laecherlich ist. Doch wie angemessen ist es wirklich mich immer, immer wieder in das indische oder bengalische Verhaeltnis zu setzten und mit aller Kraft zu versuchen dem Vergleich standzuhalten? Es ist unmoeglich! - dass sehe ich allmaehlich ein, da ich nun mal aus einer „anderen Welt“ komme, einer Welt, der man berechtigt oder aber auch unberechtigt, Unmengen von Reichtum zugedenkt, den man verstaendlicher Weise automatisch auch mit mir assoziiert. Diese Welt, sofern ich mich ihr auch fuehlen mag, ist mir stets eine sichere Rueckfahrkarte, verwehrt mir allerdings auch die Reise in das noch tiefer gehende Andere, denn niemals werde ich die jenige sein, welche die ganze Nacht hindurch, waehrend die uebrige Stadt still ruht, in einem der anonymen, grauen, ueberall in Dhaka zu sehenden Haueser unermuedlich vor einer Naehmaschine sitzt und um das Ueberleben ihrer Familie kaempft, damit Menschen in Europa oder den USA fuer wenig Geld Kleidung, mit dem Etikett „Made in Bangladesh“ versehen, erstehen koennen... ..
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