Freitag, 24. Oktober 2008

Traumspiel

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Nichts liegt mir ferner als die mir begegnende Armut zu romantisieren, doch nach dem gestrigen Tag nicht ins Schwaermen und Schwelgen zu verfallen, ist mir ganz und gar unmoeglich:

Die Fahrt „ins Dorf“ scheint mittlerweile fester Bestandteil einer jeden Woche geworden zu sein und ist eine von mir freudigst erwartete Abwechslung zu den vielen Stunden die ich in der Bibliothek; mit dem Schreiben und Tuefteln an den letzten Zuegen des Theaterstuecks; organisatorisch bedingten Gaengen oder aber mit den Kindern spielend, lernend und singend verbringe. So machten Sumita und ich uns mit dem Auftrag das Vorankommen der Schulbauten und Errichten der Trinkwasserpumpen zu ueberpruefen und zwecks des ausstehenden Reportes bildlich festzuhalten, in der Fruehe auf den Weg.

Ich liebe die Atmospaehre des langsam erwachenden Bahnhofs: ueberall spuckende, speiende, roechelnde und gurgelnde Maenner in ausgewaschenen Lungis; Frauen, die eilig ihre Kinder hinter sich herziehen; unzaehlige Bauern und Haendler, die Fruechte, Fisch, Getreide oder Stoffe in grossen geflochtenen Koerben auf ihrem Kopf ueber die Schienen von einem Gleis zum anderen tragen; kleine Staende, an denen die Verkaeufer in Akkordarbeit Glaeser auswaschen und ein Gemisch aus Kichererbsenmehl, Wasser, Gewuerzen, Chili und roher Zwiebel zum Fruehstueck anbieten; aber auch die im Gedraenge fast untergehenden, auf den Stufen immer noch schlafenden Menschen, deren Haar verfilzt und Haut vom Staub und Dreck bedeckt ganz grau ist und deren Anblick mich manches mal daran zweifeln laesst, ob sie denn ueberhaupt noch am Leben seien - Kolkata scheint selbst um 6 Uhr nicht zu ruhen.
Im Gewusel der Menschen noch die letzten Plaetze im „Ladies Compartment“ erheischend, eingebettet in die Geraeuschkulisse plappernder Frauen und dem Feilbieten der Verkaeufer, die von Abteil zu Abteil ziehen um ihre Ware anzupreisen; erreichten wir in zwei Stunden unser Ziel. Nach einem leckeren Fruehstueck, selbstgepflueckter Banane und Guave in einer der Schulen, gingen Sumita und ich unterschiedliche Wege, so dass mir die Aufgabe des Fotografierens der Kinder in den Schulklassen und der Arbeit auf den Baustellen zugesprochen wurde.
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Mit dem Fahrrad fuhr ich entlang der die Doerfer miteinanderverbindenen Strasse, die mich so saftig gruenumwuchert eher an eine Allee erinnerte, von Schule zu Schule; genoss den Wind; den Anblick der grasenden und doesenden Ziegen am Wegesrand; die an mir vorbeiratternden Rikshaws... dieses kleine grosse Stueck Freiheit.
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Klasse fuer Klasse besuchte ich die Kinder, die auch unter diesen einfachen Bedinungen, in denen in einem kuehlen Betonraum zwischen Sandsaecken und Ziegelsteinen eine Tafel nur provisorisch auf Holzbrettern errichtet wurde, tanzten, lachten, schrieben und rechneten. Auf meinem Rueckweg hielt ich an einer der Lehmhuetten an, um auch sie mit der Kamera einzufangen und wurde von der ansaessigen Toepferfamilie ueberschwaenglich dazu eingeladen einzutreten und mir ihr Handwerk genauer anzusehen, was ich den Saft einer mir gereichten frischen Kokosnuss schluerfend dankbar und uebergluecklich tat ..

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Die Schoenheit dieser Menschen und die satte Natur in den abgelegenen Doerfern zieht mich immer wieder in ihren ganz eigenen Bann, laesst mich staunen und zu gleich froehlich huepfend und springend ueber die Wiesen ziehen. Auf einem letzten taumelnd-ausgelassenen Spaziergang mit Robin-da um den schuleigenen See stellten wir fest, dass das angesammelte Wasser nicht mehr richtig in die Reisfelder abfliessen konnte und nachdem ich durch den Schlamm watend (mich nur dunkel an Blutegelwarnungen und Wuermer, die sich durch die Fusssohle in die Haut eingraben, erinnern wollend) einen neuen Kanal freigeschaufelte, hatte nicht nur ich das Beduerfnis auf immer bleiben zu koennen, sondern auch die Waescherinen, die mir amuesiert zusahen und meinten, dass es nun wahrlich keinen Grund mehr fuer mich gaebe nach Kolkata zurueckzukehren. Ja, ganz gewiss, so bald die letzten Steine ihren Platz im neu errichteten Gemaeuer gefunden haben, wird mich nichts mehr davon abhalten koennen, meine Arbeit fuer geraume Zeit in die Bilderbuchidylle zu verlagern.
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Ob des Stromausfalls ohne Licht, eng an eng gepresst im Zug sitztend, rollte ich die in den Reisfeldern untergehende Sonne bewundernd, der stickigen und doch einzigartigen Stadt wieder engegen und genoss das aufsteigende Gefuehl trotz eines wundervollen Tages wieder angekommen zu sein.
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der uns als Reiseproviant kleine, saeuerlich schmeckende Beeren flueckende Robin-da, Koordinator aller Dorfprojekte, in den ich mich mit jedem Mal ein wenig mehr verliebe.
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Nachdem ich aufgeregt, vor Erlebnissen und Tatendrang uebersprudelnd; zu neuen Ideen inspiriert, Mr. Mukherjee in einem abendlichen Gespraech von meinem Tag, der Arbeit und den Beobachtungen berichtete, stieg ich erschoepft die Treppen in den 5. Stock hinauf. .
Doch anstatt mich als gleich dem ersehnten Schlaf hingeben zu koennen, wurde ich von einer neuen Mitbewohnerin ueberrascht... Dabei glaubte ich gerade erst endueltig die Vorzuege der sich in meinem Zimmer entwickelten Nahrungskette schaetzen gelernt zu: kleine, zierliche, sowie wohlgenaehrte und schwerfaelligere Geckos, die geschwind die Wand entlanglaufen, immerzu wachsam und blitzschnell nach Mosquitos, giftig-gruenen Fliegen, der ein oder anderen Handflaechen grossen Kakerlake (als so abstossend wie immer beschrieben empfind ich sie gar nicht :)) und mancherlei anderem Krabbeltier schnappend (von denen es mehr als genug gibt); Legionen von Ameisen, die nicht nur immer dann auftauchen, wenn ich vergesse den Deckel auf ein Glas frischgepressten Limonensaft zu legen, sondern stets geschaeftig ihre Wege durch den Raum bahnen um die vom Licht der Lampe angezogenen und verbrannten Insekten auf ihren Ruecken fortzutragen. Wuerden all diese auch noch so unscheinbaren Wesen nicht besonders des Nachts beissen oder brennende Saefte verstroemen und ihre Kadaver mich am Morgen nicht einem schleiernen Umhang gleich bedecken - ich haette sie von Beginn an mit Freuden willkommen geheissen - der riesengrosse schwarze Fleck hingegen, der am Fliegennetz hing und sich als ausgewachsene Fledermaus herausstellte, haette sich auf Dauer weitaus schwieriger in den enstandenen Kreis des Lebens und Ueberlebens integrieren lassen und bedurfte daher mitternaechtlicher Befreiungsversuche... Mit ihrem flatternden Fluegelschlag in die Nacht entgleitend, entschwand auch ich diesem reichen Tag in eine Welt, die kaum farbiger als das Erlebte selbst sein koennte.

Sonntag, 19. Oktober 2008

Die unliebsame Schwester

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Schon mein Irren durch die tiefen Gefilde der Botschaft Bangladeshs, nachdem man mich denn bei meinem 4. Anlauf endlich zu einem persoenlichen Gespraech vorlud (im Vorab eindringlichst dazu ermahnt kein Wort ueber unsere „wahre Mission“ oder mein Dasein als Freiwillige zu verlautbaren, da dies die Garantie fuer eine Verweigerung des Visas gewesen waere) ist fuer die dort vorherrschende politische Lage wohl sehr bezeichnend. Doch Mr. Mukherjee hatte nun einmal beschlossen die arbeitsfreie Ferienzeit der Weiterbildung und Einholung neuer Ideen zu widmen, um diese dann bestmoeglichst in unsere Projekte zu integrieren und da sich kaum ein Ort besser dazu eignen wuerde „Feldstudien“ zu betreiben als Bangladesh - dessen Bestehen groesstenteils der grundlegenden politischen Arbeit zahlreicher NGOs zu verdanken ist -, machte ich mich gemeinsam mit der gesamten Familie Mukherjee; Sumita, der Sekretaerin und Gopal-da, dem ueber 70 Jahre alten, befreundeten Buergermeister in einem der umliegenden Doerfer, dessen stichelnder Humor und einnehmender Charme mich auch ueber sprachliche Barrieren hinweg taeglich beglueckte, auf in das unweite und doch um Welten ferne Nachbarlande..., waren sie doch ehemals Eins.
Bangladesh, nein ich kann wohl nur von Dhaka berichten, ist um so vieles gruener, sauberer und auf den ersten Blick auch reicher als Kolkata. Keine sich tuermenden Muellberge; kaum merklich, nur vereinzelt an den Strassen bettelnde Menschen und selbstverstaendlich ward auch keine einzige, gemuetlich einhertrottende Kuh zu erblicken, denn in einem muslimischen Staat ihres unantastbaren Heiligtums beraubt, sind Kuehe als eine „ergibigere“ Kreuzung zwischen indischem und deutschem Tier ausschliesslich auf Gitterrosten in engen Staellen stehend, aufzufinden. Derartige Unterschiede treten in Anbetracht der ueberall und nirgendwo anzutreffenden, wenig einladend aussehenden, bewaffneten Soldaten jedoch in den Hintergrund und je mehr ich ueber die seit 2 Jahren vorherrschende politische Notstandssituation erfuhr, die eine Militaerregierung das Feld betreten liess, desto inniger sehnte ich einer baldigen Rueckkehr entgegen.

Die ersten beiden Tage verbrachten wir im Trainingszentrum der Organisation „Proshika“, welches nicht nur der Ausbildung zukuenftiger Entwicklungshelfer aus aller Welt, sondern auch als Modelldorf dient, in dem den Bauern der Umgebung und des ganzen Landes aufgezeigt werden soll, dass es durchaus moeglich ist oekologisch wertvoll, ertragreich und von auesseren Umstaenden wie Ueberschwemmungen unabhaengig, ein selbstbestimmtes Leben fern der Armut zu bestreiten. Ich war und bin immer noch unglaublich fasziniert von dem, was dort geschaffen wurde und auch ein wenig ueberfordert, denn zwischenzeitlich draengte sich mir immer staerker die Frage auf, was ich mit all dem neuerlangten Wissen und den tiefen Einblicken anstellen sollte - inwiefern ich letzten Endes wirklich bereit bin mein Leben derartiger Arbeit voll und ganz zu widmen... . Eines ist hingegen klar: das als unmoeglich Verschrieene ist durchaus moeglich, doch bedarf es jeder Menge Arbeit, (Selbst)Aufgabe und dem Glauben an die Vision.
Wenige Menschen haben hier undenkbar viel geschaffen und sind mittlerweile sogar vollkommen unabhaenig von fremden Geldern, was keineswegs ueblich ist, denn nahezu alle in die Hoehe geschossenen Gebdaeudekomplexe in Dhaka gehoeren NGOs an, da auslaendische Investoren ueber Jahre hinweg ihr Geld gelassen haben (ob eines gewissen Prozentsatzes der Entwicklungshilfe zugedachter Gelder gar lassen muessen); keineswegs uneigennuetzig, denn ihnen erschloss sich so allmaehlich auch der Markt und damit erklaert sich beispielsweise, weshalb auffaellig viele japanische Autos den Strassenverkehr dominieren.
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in eben dieser Reihenfolge: der ueberaus liebenswerte Gopal-da; der Proshika-Mensch, dessen Namen ich nie behalten konnte und Mr. Mukherjee selbst, dessen Mimik stets ein wenig, nun ja, leblos erscheint, doch ich bin darum bemueht IHN zu sehen und mich davon nicht abschrecken zu lassen :).
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Gruender der schon fast einem Konzern gleichenden Organisation war ein enger Freund Mr. Mukherjees, der erst kuerzlich mittels seiner Kontakte aus dem Gefaengnis entlassen wurde. Seine Gefangenschaft hatte er der gegnerischen Partei, die ihn unter fadenscheinigen Gruenden hinter Gitter befoerderte, zu verdanken und die es nicht all zu gern sieht, dass dieser strahlende Mann, der sich die meiste Zeit seines Lebens dem Kampf gegen die Armut widmete, nun auch noch auf politischer Ebene um einen hohen Sitz kandidiert, in der Hoffnung noch einschlagendere Veraenderungen zu bewirken. In zahlreichen Gespraechen lernte ich durch ihn allmaehlich verstehen, fuegte sich ein Bild zusammen - auch wenn ich wahrscheinlich immernoch weit davon entfernt bin die verstrickten Zusammenhaenge gaenzlich zu durchschauen.

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Die Abende genossen wir gemeinsam mit den Dorfbe- wohnern, die einen atem- beraubenden Feuertanz- wettbewerb auffuehrten; dem sanften Spiel eines am ehesten einem Akkordeon aehnelnden Instrumentes, welches von dem erzittern lassenden Gesang einer sehr armen Frau zu den Worten Tagores (oh, wie ich ihn mit jedem Lied, jedem Gedicht, jedem Wort mehr verehre...) begleitet wurde oder aber Tee trinkend, den undurchdringlichen Wald aus Palmen, Mangobaeumen und Gebueschen von einem hohen Dach aus bewundernd und die dunkler werdende Nacht an uns vorueberziehen lassend... .

Mich daran zurueckerinnernd, scheint die mich teuer zu stehen gekommene Lektion, welche mich der Aufenthalt lehrte, ein mal mehr nichtig zu sein, doch da auch der zigste gut gemeinte Ratschlag und mir ans Herz gelegte Hinweis mich nicht davon abhalten konnten koestlich duftendes, in den Strassen Indiens zubereitets Essen zu mir zu nehmen und mich dies vor einigen Wochen fuer mehrere Tage in Form einer mich schuettelnden Magen-Darm-Infektion auf widerlichste Weise laehmte, hat es wohl nicht anders sein sollen und ich musste in Bangladesh beizeiten feststellen, dass es ein Irrglaube ist, anzunehmen, es wuerde ausreichen Hab und Gut in der abgeschlossenen Unterkunft zurueckzulassen. Ja, ich habe mich ein wenig darueber geaergert, dass muehevoll und nicht immer gern verdientes Bijou-Brigitte-Geld „verloren“ ward, doch noch viel mehr darueber, dass alle glaubten ich waere deshalb so veraendert. Nein, viel mehr stoerten mich die Umstaende; dass unsere an „Proshika“ anschliessenden Tage uns auf Grund der politischen Situation weitere Besuche anderer Einrichtungen unmoeglich machten und ausgedehnten Einkaufstouren (etwas, das mich auch in Deutschland nicht uebermaessig erfreut und mich dem daher enthalten liess) und Essgelagen bei alten Freunden galten und ich mich nach dem Erlebten damit nicht umgeben wollte. Ausserdem der mich beschleichende Glaube keine Berechtigung zu haben dem verlorenen Mammon nachzutrauern, da dieser Verlust verglichen mit dem Lebensstandart der mich umgebenden Menschen mehr als nur laecherlich ist. Doch wie angemessen ist es wirklich mich immer, immer wieder in das indische oder bengalische Verhaeltnis zu setzten und mit aller Kraft zu versuchen dem Vergleich standzuhalten? Es ist unmoeglich! - dass sehe ich allmaehlich ein, da ich nun mal aus einer „anderen Welt“ komme, einer Welt, der man berechtigt oder aber auch unberechtigt, Unmengen von Reichtum zugedenkt, den man verstaendlicher Weise automatisch auch mit mir assoziiert. Diese Welt, sofern ich mich ihr auch fuehlen mag, ist mir stets eine sichere Rueckfahrkarte, verwehrt mir allerdings auch die Reise in das noch tiefer gehende Andere, denn niemals werde ich die jenige sein, welche die ganze Nacht hindurch, waehrend die uebrige Stadt still ruht, in einem der anonymen, grauen, ueberall in Dhaka zu sehenden Haueser unermuedlich vor einer Naehmaschine sitzt und um das Ueberleben ihrer Familie kaempft, damit Menschen in Europa oder den USA fuer wenig Geld Kleidung, mit dem Etikett „Made in Bangladesh“ versehen, erstehen koennen... ..
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Mittwoch, 8. Oktober 2008

Ein Fest der Sinne

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Wohl eher: Feste von Sinnen… :D

Der Tag des Lehrers; „Vishwakarma“ - der Feiertag, an dem die einfachen Arbeiter alle Maschinen ruhen lassen; Gandhis Geburtstag am 2. Oktober; eine Neumondnacht und der auf sie folgende anbrechende Tag, an dem man den Seelen der verstorbenen Vaeter Opfergaben darbringt; Eid, das ausgelassene Fastenbrechen der Moslems am Ende des Ramadan; mein Teilnehmen an einer Zeremonie, in der ein zumeist 7 Monate altes Baby, das erste Mal in seinem Leben neben Muttermilch auch Reis gefuettert bekommt ..., an Anlaessen, um ausgelassene Feste zu feiern, scheint es wahrlich nicht zu mangeln.
Eigentlich habe ich schon nach dem zweiten Tag, an dem aus mir unerfindlichen Gruenden niemand in der Schule anzutreffen war und wiederholten Naechten, in denen euphorisches Trommeln, aus Lautsprechern droehnende Musik und der all dies uebertoenen wollende Gesang trunkener Maenner es schlicht weg unmoeglich gemacht haben auch nur an Schlaf zu denken, aufgegeben verstehen zu wollen, was genau sich wohl hinter jedem einzelnen Feiertag verberge, doch nun, zu „Durga Puja“, der Koenigin der Feste, gibt es nicht mehr viel zu verstehen und ich sehe mich selbst ganz in den Strudel aus Farben, Lichtern, Raeucherstaebchen und unkontrollierbaren Menschenmassen von der Faszination dieses nichtweltlichen, 5 Tage andauernden Festes mitgerissen. In dieser Zeit scheint die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes stehen zu bleiben, denn die Scharen von festlich gekleideten Menschen, denen man mit Hilfe von Bambusvorrichtungen, gezogenen Seilen und unter Einsatz der Polizei Einhalt zu gebieten versucht, lassen ein Durchkommen unmoeglich werden und den steten Stau seinen Hoehepunkt erreichen. Doch die Strassen sind auch erfuellt vom Duft frischen Popcorns; Zuckerwatte- und Eislaeden; vielen kleinen Staenden, die selbstegbastelte Pfeifen und Luftballons verkaufen, so dass ich mich vielmehr an einen grossen Jahrmarkt, als an Weihnachten, womit man es mir im Vorab vergleichbar veranschaulichen wollte, erinnert fuehle. Oh, vielleicht grenzt es an Blasphemie dieses unvergleichliche Spektakel in Worte fassen zu wollen, aber ich muss es dennoch auf einen Versuch ankommen lassen:
Ueberall, wohin die Wege einen auch fuehren, mal pompoes und aufdringlich, dann widerum unscheinbar und zierlich, tun sich kleine Tempel auf, in deren Inneren der Goettin Durga die Ehre erwiesen wird. Die Hindus glauben daran, dass sie einmal jaehrlich ihren Ehemann Shiva und das Reich der Unsterblichen verlaesst um zurueck auf die Erde zu kehren und die Menschen an ihre grenzenlose Kraft und Gewalt zu erinnern. Erst mit der Heiligsprechung eines Priestes, der in Meditation versunken ekstatisch vor den Figuren tanzt, sie mit Gangeswasser besprenkelt und jeden Moment zu fallen droht, ist das „Pandal“ den Goettern wirklich wuerdig und bereit von den Menschen verehrt zu werden.
Nur nach genauerem Hinsehen stellte ich fest, dass die „Bauten“ keineswegs Stein auf Stein errichtet wurden, sondern mit Hilfe von um Bambusrohre gewickelten weiten farbigen Stofftuechern, aufeinandergestapelten Tontoepfen, Stroh- oder Holzverkleidungen kunstvolle Palaeste entstanden sind. Keiner gleicht einem anderen und in der muehevollen, detailgetreuen Arbeit sind sie vollkommen einzigartig und niegewesen. In einem jeden der Goettin angedachten Orte der Lobpreisung haette ich Stunden verweilen moegen und konnte mich an den Wunderwerken kreativen Schaffens gar nicht satt sehen.
Auch wenn das Spiel der Lichter und Farben am Abend noch viel beeindruckender, ein Durchkommen durch die Massen aber schlichtweg unmoeglich ist, bin ich gemeinsam mit einem Bus voller Jungs in der morgendlichen Fruehe zu den beruehmtesten Pandals der Stadt gefahren. Die Kinder sind so umwerfend, aufgeweckt und liebenswert, dass mit ihnen selbst das stundenlange Warten in der schwuelen Hitze ohne Wasser zu einem unvergesslich schoenen Moment der Gemeinsamkeit wurde. Die „Times of India“ und der Rotary Club haben diese Fahrt fuer die Kinder moeglich gemacht und wenn man die Unmengen von fliessendem Geld und das betonte Prestige aussenvor laesst, dann ist es durchaus grossartig, dass diese Kinder, deren Eltern zu arm sind um selbst mit ihnen durch die Stadt zu ziehen, sich an den Farben und Klaengen des Frestivals erfreuen konnten.
Am 5. und letzten Tag schliesst sich dann der Kreis und die reich verzierten Goettinnen werden aus allen Winkel der Stadt herbeigetragen und stolz und feierlich dem heiligen Ganges uebergeben, um gebuehrend ihren Teil zu dessen stehend-milchigem Wasser beizutragen. Meine anfaengliche Erleichterung darueber, dass meine Haende noch vor diesem Akt das sagenumwobene Nass beruehrten, ist nach genauerer Betrachtung wohl ein wenig unangebracht, denn die Goetzenblider gehoeren zweifelsohne zu den angenehmeren Dingen, welche Eins mit dem ewigen Leben werden.

„Einigkeit und Recht und Freiheit...“ – es koennte kaum etwas unindischeres geben und doch reihte sich der 3. Oktober in die unueberschaubaren Feierlichkeiten dieses Landes ein. Der Einladung der Bundesregierung folgend (eine Einladung, die ich nie erhielt, da mein Lebenswandel sich dem indischen Organisations- und Zeitverstaendnis mittlerweile wohl schon zu stark angepasst hat und ich es hingegen den Anweisungen meiner Organisation bisher nicht fertig gebracht habe mich bei der deutschen Botschaft zu melden, wodurch mich auch der gueldende Brief nie erreichte) haette ich den „Tag der deutschen Einheit“ im Taj Bengal, einem 5 Sterne Hotel, in dessengleichen mich meine Wege selbst in Deutschland niemals zuvor gefuehrt haben, kaum wuerdiger und zugleich absurder zelebrieren koennen.
Frueh am Morgen noch haben Mr. Mukherjee und ich erneut die zehrende Autofahrt ueber die einzige, verbindene, schlecht ausgebaute holprige Strasse - die Millionen von Menschen taeglich von ihrer Arbeit zurueck zu ihren Familien fuehrt und uns 70 km in knapp 3 Stunden zuruecklegen liess - in eines der Doerfer gewagt, um uns dort das Land anzusehen, welches in naher Zukunft als Boden fuer eine neue Schule dienen soll. Das Leben dort ist ein anderes und selbst mit dem in Kolkata nicht zu vergleichen: Maenner, Frauen und nicht wenige Kindern stehen mit dem Sonnenaufgang auf und widmen sich bis zur den Himmel rot faerbenden Abenddaemmerung der harten und beschwerlichen Arbeit auf dem Feld und um an frisches Trinkwasser zu gelangen, heisst es einen langen Fussweg auf sich zu nehmen, der auch nur dann zu meistern ist, wenn der Regen die Strassen nicht in schlammige Suempfe wandelte.
Als ich dann am Abend erschoepft und totmuede den von kristallenen Kronleuchtern erhellten Saal betrat, im Hintergrund eine zuenftige, aus Regensburg eingeflogene Blaskappelle die „Musie“ aufspielen liess und wichtige Maenner in grauen Anzuegen sich vielsagend die Haende schuettelten, gab ich mir genau fuenf Minuten um diese Parodie des Lebens auf schnellstem Wege zu verlassen. Waere es nicht um Marens und Leonies Willen gewesen, den beiden anderen Freiwilligen in der Nachbarstadt Howrah, welche ich an diesem Abend zum ersten Mal treffen wollte, ich haette nicht gewusst, was mich mich am unverzueglichen Gehen haette hindern sollen. Doch ich fand die Beiden recht schnell – sie, den gerade aus Deutschland hier seienden Gruender ihrer Organisation Helgo und mit ihnen vier weitere Aerzte, die im Rahmen von „Aerzte der 3. Welt“ hier in Kolkata und Umbegung fuer einige Wochen und Monate arbeiten. Da es ihnen nicht viel anders als mir erging und wir nicht muede wurden uns immer, immer wieder zu beteuern wie absurd und unwirklich dieser Abend doch sei, genossen wir lachend und kopfschuettlend gemeinsam Schwarzbrot, Apfelstrudel und Paulaner... und der zurueckgebliebene Mr. Mukhjerjee, der aus Ueberzeugung schon seit vielen Jahren einer derartigen Veranstaltung nicht mehr beiwohnt, freute sich dafuer umso mehr ueber sein in eine Serviette eingewickeltes Mitbringsel: deutsche Bratwurst und Wiener.
Dennoch: als die in Lederhosen gekleideten Maenner vor Beginn der Rede des Botschafters und der Eroeffnung des reichhaltigen Buffets die Nationalhymne ertoenen liessen, habe ich mich waehrend meines nun schon mehr als einen Monat andauernden kolkatanischen Lebens zum ersten Mal wirklich unwohl gefuehlt und musste mit den aufkommenden Traenen kaempfen.... - nicht vor Ruehrung oder neuentdecktem Nationalstolz, sondern weil die Kluft dieser Welten nicht eindringlicher und deutlicher auf mich haette einbrechen koennen.
Aber all dies IST Indien, gerade weil es so unvorstellbar ist und sich selbst nicht entsprechen will und ich bin froh, dass auch dieser Abend sich in den anwachsenden Teppich der Erfahrungen einwebte.