Mittwoch, 8. Oktober 2008

Ein Fest der Sinne

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Wohl eher: Feste von Sinnen… :D

Der Tag des Lehrers; „Vishwakarma“ - der Feiertag, an dem die einfachen Arbeiter alle Maschinen ruhen lassen; Gandhis Geburtstag am 2. Oktober; eine Neumondnacht und der auf sie folgende anbrechende Tag, an dem man den Seelen der verstorbenen Vaeter Opfergaben darbringt; Eid, das ausgelassene Fastenbrechen der Moslems am Ende des Ramadan; mein Teilnehmen an einer Zeremonie, in der ein zumeist 7 Monate altes Baby, das erste Mal in seinem Leben neben Muttermilch auch Reis gefuettert bekommt ..., an Anlaessen, um ausgelassene Feste zu feiern, scheint es wahrlich nicht zu mangeln.
Eigentlich habe ich schon nach dem zweiten Tag, an dem aus mir unerfindlichen Gruenden niemand in der Schule anzutreffen war und wiederholten Naechten, in denen euphorisches Trommeln, aus Lautsprechern droehnende Musik und der all dies uebertoenen wollende Gesang trunkener Maenner es schlicht weg unmoeglich gemacht haben auch nur an Schlaf zu denken, aufgegeben verstehen zu wollen, was genau sich wohl hinter jedem einzelnen Feiertag verberge, doch nun, zu „Durga Puja“, der Koenigin der Feste, gibt es nicht mehr viel zu verstehen und ich sehe mich selbst ganz in den Strudel aus Farben, Lichtern, Raeucherstaebchen und unkontrollierbaren Menschenmassen von der Faszination dieses nichtweltlichen, 5 Tage andauernden Festes mitgerissen. In dieser Zeit scheint die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes stehen zu bleiben, denn die Scharen von festlich gekleideten Menschen, denen man mit Hilfe von Bambusvorrichtungen, gezogenen Seilen und unter Einsatz der Polizei Einhalt zu gebieten versucht, lassen ein Durchkommen unmoeglich werden und den steten Stau seinen Hoehepunkt erreichen. Doch die Strassen sind auch erfuellt vom Duft frischen Popcorns; Zuckerwatte- und Eislaeden; vielen kleinen Staenden, die selbstegbastelte Pfeifen und Luftballons verkaufen, so dass ich mich vielmehr an einen grossen Jahrmarkt, als an Weihnachten, womit man es mir im Vorab vergleichbar veranschaulichen wollte, erinnert fuehle. Oh, vielleicht grenzt es an Blasphemie dieses unvergleichliche Spektakel in Worte fassen zu wollen, aber ich muss es dennoch auf einen Versuch ankommen lassen:
Ueberall, wohin die Wege einen auch fuehren, mal pompoes und aufdringlich, dann widerum unscheinbar und zierlich, tun sich kleine Tempel auf, in deren Inneren der Goettin Durga die Ehre erwiesen wird. Die Hindus glauben daran, dass sie einmal jaehrlich ihren Ehemann Shiva und das Reich der Unsterblichen verlaesst um zurueck auf die Erde zu kehren und die Menschen an ihre grenzenlose Kraft und Gewalt zu erinnern. Erst mit der Heiligsprechung eines Priestes, der in Meditation versunken ekstatisch vor den Figuren tanzt, sie mit Gangeswasser besprenkelt und jeden Moment zu fallen droht, ist das „Pandal“ den Goettern wirklich wuerdig und bereit von den Menschen verehrt zu werden.
Nur nach genauerem Hinsehen stellte ich fest, dass die „Bauten“ keineswegs Stein auf Stein errichtet wurden, sondern mit Hilfe von um Bambusrohre gewickelten weiten farbigen Stofftuechern, aufeinandergestapelten Tontoepfen, Stroh- oder Holzverkleidungen kunstvolle Palaeste entstanden sind. Keiner gleicht einem anderen und in der muehevollen, detailgetreuen Arbeit sind sie vollkommen einzigartig und niegewesen. In einem jeden der Goettin angedachten Orte der Lobpreisung haette ich Stunden verweilen moegen und konnte mich an den Wunderwerken kreativen Schaffens gar nicht satt sehen.
Auch wenn das Spiel der Lichter und Farben am Abend noch viel beeindruckender, ein Durchkommen durch die Massen aber schlichtweg unmoeglich ist, bin ich gemeinsam mit einem Bus voller Jungs in der morgendlichen Fruehe zu den beruehmtesten Pandals der Stadt gefahren. Die Kinder sind so umwerfend, aufgeweckt und liebenswert, dass mit ihnen selbst das stundenlange Warten in der schwuelen Hitze ohne Wasser zu einem unvergesslich schoenen Moment der Gemeinsamkeit wurde. Die „Times of India“ und der Rotary Club haben diese Fahrt fuer die Kinder moeglich gemacht und wenn man die Unmengen von fliessendem Geld und das betonte Prestige aussenvor laesst, dann ist es durchaus grossartig, dass diese Kinder, deren Eltern zu arm sind um selbst mit ihnen durch die Stadt zu ziehen, sich an den Farben und Klaengen des Frestivals erfreuen konnten.
Am 5. und letzten Tag schliesst sich dann der Kreis und die reich verzierten Goettinnen werden aus allen Winkel der Stadt herbeigetragen und stolz und feierlich dem heiligen Ganges uebergeben, um gebuehrend ihren Teil zu dessen stehend-milchigem Wasser beizutragen. Meine anfaengliche Erleichterung darueber, dass meine Haende noch vor diesem Akt das sagenumwobene Nass beruehrten, ist nach genauerer Betrachtung wohl ein wenig unangebracht, denn die Goetzenblider gehoeren zweifelsohne zu den angenehmeren Dingen, welche Eins mit dem ewigen Leben werden.

„Einigkeit und Recht und Freiheit...“ – es koennte kaum etwas unindischeres geben und doch reihte sich der 3. Oktober in die unueberschaubaren Feierlichkeiten dieses Landes ein. Der Einladung der Bundesregierung folgend (eine Einladung, die ich nie erhielt, da mein Lebenswandel sich dem indischen Organisations- und Zeitverstaendnis mittlerweile wohl schon zu stark angepasst hat und ich es hingegen den Anweisungen meiner Organisation bisher nicht fertig gebracht habe mich bei der deutschen Botschaft zu melden, wodurch mich auch der gueldende Brief nie erreichte) haette ich den „Tag der deutschen Einheit“ im Taj Bengal, einem 5 Sterne Hotel, in dessengleichen mich meine Wege selbst in Deutschland niemals zuvor gefuehrt haben, kaum wuerdiger und zugleich absurder zelebrieren koennen.
Frueh am Morgen noch haben Mr. Mukherjee und ich erneut die zehrende Autofahrt ueber die einzige, verbindene, schlecht ausgebaute holprige Strasse - die Millionen von Menschen taeglich von ihrer Arbeit zurueck zu ihren Familien fuehrt und uns 70 km in knapp 3 Stunden zuruecklegen liess - in eines der Doerfer gewagt, um uns dort das Land anzusehen, welches in naher Zukunft als Boden fuer eine neue Schule dienen soll. Das Leben dort ist ein anderes und selbst mit dem in Kolkata nicht zu vergleichen: Maenner, Frauen und nicht wenige Kindern stehen mit dem Sonnenaufgang auf und widmen sich bis zur den Himmel rot faerbenden Abenddaemmerung der harten und beschwerlichen Arbeit auf dem Feld und um an frisches Trinkwasser zu gelangen, heisst es einen langen Fussweg auf sich zu nehmen, der auch nur dann zu meistern ist, wenn der Regen die Strassen nicht in schlammige Suempfe wandelte.
Als ich dann am Abend erschoepft und totmuede den von kristallenen Kronleuchtern erhellten Saal betrat, im Hintergrund eine zuenftige, aus Regensburg eingeflogene Blaskappelle die „Musie“ aufspielen liess und wichtige Maenner in grauen Anzuegen sich vielsagend die Haende schuettelten, gab ich mir genau fuenf Minuten um diese Parodie des Lebens auf schnellstem Wege zu verlassen. Waere es nicht um Marens und Leonies Willen gewesen, den beiden anderen Freiwilligen in der Nachbarstadt Howrah, welche ich an diesem Abend zum ersten Mal treffen wollte, ich haette nicht gewusst, was mich mich am unverzueglichen Gehen haette hindern sollen. Doch ich fand die Beiden recht schnell – sie, den gerade aus Deutschland hier seienden Gruender ihrer Organisation Helgo und mit ihnen vier weitere Aerzte, die im Rahmen von „Aerzte der 3. Welt“ hier in Kolkata und Umbegung fuer einige Wochen und Monate arbeiten. Da es ihnen nicht viel anders als mir erging und wir nicht muede wurden uns immer, immer wieder zu beteuern wie absurd und unwirklich dieser Abend doch sei, genossen wir lachend und kopfschuettlend gemeinsam Schwarzbrot, Apfelstrudel und Paulaner... und der zurueckgebliebene Mr. Mukhjerjee, der aus Ueberzeugung schon seit vielen Jahren einer derartigen Veranstaltung nicht mehr beiwohnt, freute sich dafuer umso mehr ueber sein in eine Serviette eingewickeltes Mitbringsel: deutsche Bratwurst und Wiener.
Dennoch: als die in Lederhosen gekleideten Maenner vor Beginn der Rede des Botschafters und der Eroeffnung des reichhaltigen Buffets die Nationalhymne ertoenen liessen, habe ich mich waehrend meines nun schon mehr als einen Monat andauernden kolkatanischen Lebens zum ersten Mal wirklich unwohl gefuehlt und musste mit den aufkommenden Traenen kaempfen.... - nicht vor Ruehrung oder neuentdecktem Nationalstolz, sondern weil die Kluft dieser Welten nicht eindringlicher und deutlicher auf mich haette einbrechen koennen.
Aber all dies IST Indien, gerade weil es so unvorstellbar ist und sich selbst nicht entsprechen will und ich bin froh, dass auch dieser Abend sich in den anwachsenden Teppich der Erfahrungen einwebte.

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