Mittwoch, 13. Mai 2009

Die Qual der Wahl

„Die Schule am heutigen Tage zu verlassen sei fuer mich zu gefaehrlich!“, so die warnenden Worte, die mir nicht nur allein von Mr. Mukherjee, sondern auch anderen Feunden und Bekannten wohlwollend ans Herz gelegt wurden. Dass die unbekannte Gefahr sich etwas anders bemessen wird als zu Holi, meinem allerliebsten Lieblingsfest im Maerz – dem Fest der Farben – als sie mich in Gestalt von fliegenden Eiern, Schlamm und verfaulten Tomaten ueberraschte (denn schliesslich ist der Begriff „Farbe“ beliebig weit ausdehnbar :) und die meisten Menschen koennen sich die traditionellen Puder-Kreidefarben gar nicht leisten), kann ich annehmen, doch dass ich „erschossen werden koennte“ (so die Befuerchtung), moechte ich nicht glauben, auch wenn jeden Tag von toedlichen Aufstaenden und Belagerungen zu lesen ist. Doch die nehmen nur den kleineren Teil in den Zeitungen ein und werden wohl nur stellvertretend fuer all die unveroeffentlichen Opferzahlen des seit Wochen ausgeschlachteten „Dance of Democracy“ stehen, der heute auch in Kolkata mit der Paralamentswahl seinen Hoehepunkt erreichen soll.

Auch wenn kaum ein Bus faehrt, da diese, ebenso wie viele Schulgebaeude von der Polizei fuer hoehre Wahlzwecke in Beschlag genommen wurden, steht die Stadt heute keineswegs still – sondern Kopf und es brodelt spuerbar, denn dieser Tag koennte ueber den Bruch der seit 30 Jahren im Amt seienden kommunistischen Regierung entscheiden. Warum es dieses Jahr wahrscheinlicher als zuvor sein soll ist mir ein unerklaerliches Raetsel, ebenso wie das ganze Unterfangen an sich, das sich nur in Teilen nebelhaft lichtet und doch vorallem eines ist – ganz schoen absurd!
Merkwuerdig genug finde ich, dass die wenigsten der Menschen mit denen ich sprach ueberhaupt wahlberechtigt sind... Merkwuerdig? Wohl nicht so sehr, denn um waehlen zu koennen muss man in West-Bengalen im Besitz einer Identitaets-Karte sein, die widerum wohlweislich von der Partei hoechstpersoenlich ausgehaendigt wird und so ist es schon viel weniger verwunderlich, dass die einen auf Grund unerklaerlicher Verzoegerungen entweder immer noch vergeblich auf das gute Stueck Papier warten und auf die naechste Wahl vertroestet werden, waehrend andere sich sehr wohl dessen bewusst sind, dass sie die erforderliche Karte erst dann erhalten werden, wenn sie sich dankbar zeigen und zusaetzlich auch das grosszuegige Geschenk von 2.000 Rupien annehmen, mit dem sie im Gegenzug der fuehrenden politischen Kraft, der CPM (Communist Party Marxist), ihre Stimme versprechen.
Im Endeffekt gibt es sie aber doch – die Auserwaehlten – die an einem der elektronischen, Polizeischaren bewachten Wahlautomaten ihre Stimme abgeben duerfen und sich durch eine Tintenmarkierung an ihrem Finger (die verhindern soll, dass man wiederholt zu waehlen versucht und nur langsam mit der Zeit verblasst, da sie sich angeblich durch kein Mittel spurlos entfernen laesst) von den Normalsterblichen unterscheiden.

An jeder Kreuzung, jeder Weggabelung und in jeder noch so kleinen Nachbarschaft sind kleine Staende aufgebaut, vor denen wichtige oder auch weniger bedeutende Maenner schon seit Tagen ihre Zeit verbringen und gerahmte, blumengeschmueckte Fotografien ihres bevorzugten Kandidaten in ausladenden Pujas beweihraeuchern. Auf einem Stadtspaziergang durch das faszinierende, von ruinenhaften Baudenkmaelern eines „Bilderbuchindiens“ uebersaehte Lucknow, der Hauptstadt Uttar Pradesh, welches ich auf der Rueckreise von Nepal nach Kolkata besuchte, kam ich auf die fabelhafte Idee mich einfach hinter den stoffverhangenen Konstruktionen vorbeizuzwaengen und so dem Menschengedraenge zu entgehen, was sich auch als sehr vorteilhaft erweisen sollte, bis ich versehntlich gegen einen der Vorhaenge stiess, den „Altar“ samt Bild zu Fall brachte und schnell, schnell vor den wuetenden, in der Luft wedelnden Faeusten fluechtete.
Am Abend dann finden organisierte Versammlungen statt, in denen auf einem Podium predigende Politiker der Zuhoererschaft ihre aufbrausenden Worte entgegenschmettern, die, auch wenn das ganze Viertel ob des Stromausfalls im Dunkel der Nacht verschwindet, durch unzaehlige knackende und verzerrende Lautsprecher in alle Strassen getragen werden. Woher sie all die Menschen nehmen, die dieses Spektakel so scheinbar teilnahmslos und doch geduldig ueber sich ergehen lassen? – es laesst sich nur vermuten... Dass all die in Reih und Glied marschierenden Gruppen von Maennern, die Fahnen stolz und hoch vorantragend, welche des Abends gespentisch durch die Gegend ziehen und im Chor die immer gleichen Worte rufen, dies nicht unentgeldlich tun, ist schon um so vieles gewisser.
Ein wenig gleicht es beinhae einem grossen Volksfest: ueberall in der Stadt flattern die zu langen Girlanden gereihten rot-weissen Sichel-Faehnchen und die verblassten Werbungen an den Haueserwaenden sind uebermalt um nun im Glanze politischer Parolen zu leuchten... waeren da nicht die gigantischen Plakate, welche einem von allen Seiten betaeubende Bilder entgegendonnern! Es sind nicht mehr nur die instrumentalisierten traurigen Augen von kleinen halbnackten Blaehbauchkindern, die auf dem Muellerberg spielen und flehend ihre duennen Haendchen ausstreckend um eine heilbringendere Zukunft zu bitten, sondern bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen; hingerichtete Koerper; verstuemmelte und blutverschmierte Gesichter, vor Angst und Schrecken verzerrt; die dem potentiellen Waehler „lebensnah“ ins Gedaechtnis zurueckrufen wollen, was die gegnerische Partei in der Vergangenheit zuliess... Diese in herunterlaufendes Blut gerahmten Fotos sind der Inbegriff des entsetzlichen Grauens und uebersteigen alles, was ich bisher gesehen haben, doch es gibt kein Entkommen, denn sie holen einen an jeder Strassenecke ein...

Der eigentliche WahlKAMPF erstreckt sich allerdings keineswegs nur auf ein paar Wochen, sondern findet schon lange vorher, ja waehrend der gesamten Amtszeit statt. Besonders hart trifft es, wie so oft, die ohnehin schon armen Menschen, die hilflos zu Boden gestampft werden. In einem zwei Zugfahrtstunden von Kolkata entfernten unterpriviligierten muslimischen Ort, macht sich dies symbolisch in aller Klarheit bemerkbar und blendete mich doch... immer und immer wieder.
Da die Schule waehrend der begonnenen vier Wochen langen Sommerferien geschlossen bleiben wird, beschaeftige ich mich nun vorallem mit organisatorischen Dingen, wie auch der Auswertung und Verschriftlichung einer Studie, die in einem „unserer“ Doerfer durchgefuehrt wurde und mir einen noch tieferen Einblick in die momentane poltische Lage ermoeglichte.
Die gesamte Dorfgemeinschaft existiert unter der offiziellen Armutsgrenze (eine ganze Familie von durchschnittlich 6 Menschen muss von 12,50 Rupien - 5 Cent - am Tag UEBERleben) und hat daher Anspruch auf Lebensmittelkarten, mit denen sie unter anderem verbilligt Grundnahrungsmittel erstehen koennen. Diese werden ihnen jedoch oft genug nicht ausgehaendigt und von den Anhaengern der CPM (die in der Region in der Minderheit sind, aber die Macht des Staates, reicht natuerlich ueber die eines Dorfes hinaus) fuer sich zurueckbehalten. Es gibt nur noch wenige, die die Partei unterstuetzen und sie geniessen bis heute auch die meisten Vorzuege. So sind die einflussreichtsen Anhaenger auch im Beistz von „Arbeitskarten“, die eigentlich den Beduerftigsten zustehen und ihnen von der Regierung aus 100 Tage Arbeit im Jahr garantieren, ohne einer Arbeit nachzugehen und verdienen mit ihnen zusaetliches Geld. Die Bevoelkerung hat sich dafuer entschieden gegen die Unterdrueckung durch die allmaechtige Partei anzugehen, bangt jedoch besonders nun anlaesslich der Wahl um ihr Leben und daher bewohnen seit mittlerweile vier Monaten Polizeitrupps die einzige Grundschule des Dorfes, was widerum zur Folge hat, dass die Kinder keinen Unterricht erhalten – es ist eine ewige Aneinanderkettung misslicher Umstaende und die verstrickte Vernetzung der ueberall herrschenden Korruption dieses Landes – Indien - der groessten Demokratie der Welt...

1 Kommentar:

einehartenase hat gesagt…

Wahrscheinlich wird der (von dir) gestürzte Politiker nun aufgrund dieses schlechten Omens in den Wahlen nicht weit kommen. So kann man auch aktiv Politik betreiben :)