Dienstag, 16. September 2008

auf eines bunten Vogels Schwingen






Das purpurfarbene “Made in India” H&M T-Shirt ist einer umso vieles indischeren Kurta gewichen; die Finger meiner rechten Hand nehmen durch die Gewuerze des Essens mit jedem Tag einen tieferen Gelbton an; die Herausforderung einer andauernden Erkaeltung im Land ohne Toilettenpapier, in dem folglich auch Taschentuecher fuer Aufsehen sorgen, ist endlich bravouroes gemeistert und an den Oelfilm, der den ganzen Tag ueber die Haut ummantelt, habe ich mich schon so weit gewoehnt, dass es sich viel merkwuerdiger anfuehlt, mit frisch gewaschenen Haaren der anstehenden Arbeit nachzugehen... - auf, auf in das Land der ungeahnten Gegensaetze!


Ami murgi kaina! – Ich esse kein Huehnchen... Was mich zu meinen ersten Worten in Bengali motivierte, kostete das gefederte Vieh das Leben und haette mir durch die Haende des Kochs, der den beiden Tieren die Kehle so lange zudrueckte, bis auch das letzte Zucken aus ihren Beinen schwand, nicht eindringlicher vor Augen gefuehrt werden koennen... Schnell reihten sich auch Fisch und Ziege ein und ich musste ernuechternd feststellen, dass die Menschen hier keineswegs, wie erwartet, von einem alles dominierenden Respekt vor lebendigen Wesen erfuellt sind und es sie vielmehr verwundert, wie es sich von Gemuese allein leben laesst, so dass meine Speisen vorsorglich zusaetzlich mit besonders viel Oel angereichert werden um den Kalorienbedarf eines Tages zu decken, nein, bei weitem zu ueberschreiten – keine Rede mehr von einer blossen Schuessel Reis am Tag :).
Auch auf die obligatorischen 3 Teeloeffel Zucker, welche den in einer Espressogrossen Tasse servierten Chai in ein suesses, braunes Wasser wandeln verzichtend, nehme ich sie jedoch auf wohlweissliches Antraten der Inder nach einem der regelmaessigen Hitzeanfaelle, die ihren Ursprung in meiner Unfaehigkeit die undefinierbar neuen Gemuesesorten von unscheinbaren gruenen Chilischoten - liebevoll zu EINEM Curry vermengt - zu unterscheiden, in doppelt und dreifacher Menge errettend in Anspruch und es ist keine Seltenheit mehr, dass mehrere Menschen gleichzeitig lachend mit einer Zuckerdose auf mich zugerannt kommen… Es sind besonders diese “einfachen Angestellten“ der Schule: die Koechin und ihre Tochter, die Putzmaenner, Fahrer und Nachtwaechter, welche mich stets warmherzig anlaecheln und grosse Freude daran gefunden haben keine Gelegenheit auszulassen, meine vereinzelten Bengali-Brocken Stueck um Stueck zu erweitern. Dadurch laesst sich mein Unbehagen ueber diese strikte aeussere Rollenverteilung viel, viel leichter ertragen, auch wenn es nach wie vor ungewohnt ist, mich an den gedeckten Tisch zu setzten und es als beleidigend empfunden wird, wenn ich meinen Teller selbststaendig abspuele.


In dem auch erst seit Kurzem hier arbeitenden Schuladministrator Mr. Thomas habe ich nicht nur eine der wenigen maennlichen Personen gefunden, die sich nicht als erstes nach der Existenz meines “boyfriends” erkundigte, sondern einen herzlichen, mir durch seine bedingungslos offene und ehrliche Art, die jegliche Grenzen indischer Diskretion ueberschreitet, schon jetzt sehr nahe stehenden Menschen gefunden, der mich mit ueberschwaenglicher Begeisterung in das Leben seines schillernden Kolkatas einfuehrt. Ganz eigentlich heisst er bloss Thomas, doch Respekt und Hoeflichkeit gebieten es, sich vor Kollegen und Schuelern nicht beim Vornamen zu nennen und so hallt nicht nur mir in allen Gaengen und Raeumen ein froehliches “Good Morning Mrs!” entgegen, sondern eben auch ihm, welches ich im Zuge meines so anspruchsvollen Sinnes fuer Humor auch ausserhalb der Schule beibehalte. Als mein selbsternannter neuer bester Freund liess er es sich nicht nehmen mich auf meiner ersten Suche nach einer Salvar Kameez zu begleiten, doch anstelle des indischen Gewandes, hielt ich als bald stolz meinen eigens erstandenen Helm in den Haenden und auf seinem Motorrad rauschten wir um des Momentes Willen durch das naechtliche Kolkata – uns durch die kein Ende nehmen wollenden Staus schlaengelnd, auf in das Zentrum der Stadt; vorbei am stolzen Victoria Memorial; beleuchteten Springbrunnenanlagen; den zahlreichen, kleinen gebrechlichen Imbissstaenden; den aus dem Nichts auftauchenden Baustellen und im schlammigen Wasser in Flip Flops watenden Arbeitern; der beeindruckend riesigen Hoogly Bridge und der Weite des Flusses; den Geraeuschen der Nacht entgegenfahrend…Auch die Eindruecke des heutigen Nachmittags wirken noch innbruenstig nach, hat mich der Ausflug auf dem fahrbaren Untersatz nach getaner Arbeit doch in den Norden der Stadt geweht, wo das Leben noch ein mal so viel hektischer, wuselnder und wuester braust, dass es mir unmoeglich erscheint, dass all dies wirklich eine Stadt sein soll...
Es ist schwer zu sagen, wer von uns beiden oefters jedes Mal aufs Neue Verwunderung ueber das Alter des jeweils anderen aeussert; er, der erstaunt feststellen muss, dass ich “erst 20” bin, oder ich, die nicht fassen kann, dass dieser kleine rundliche Mann, eher einer dem Erwachsenwerden trotzender grosser kleiner Junge, dem mit Schokolade und Keksen ein noch verschmitzteres Laecheln in das Gesicht zu malen ist, wahrlich schon fast 40 Jahre alt ist. Allein wenn er mich an seinem tagelichen Kampf um seine erst 8 Monate bestehende Ehe (damit ist er auch als Christ mit seiner Frau bei weitem laenger verheiratet, als er sie vorher kannte) teilhaben laesst, eroeffnet sich hinter seinen weichen Zuegen ein anderes, beschwerteres Leben.


So ist die gemeinsame Arbeit mit ihm und allen anderen Lehrern und Lehrerinnen nach einem gemeinsamen Seminar, welches uns dabei helfen sollte sensibler und eingehender mit unseren Mitmenschen umzugehen und unsere Kraft dahingehend zu erweitern uns dem “hoehren Allgemeinwohl“ zu widmen, in jedem Fall schon sehr vertraut. Da die Schueler in dieser und der kommenden Woche jedoch ihre abschliessenden Examen schreiben und sie anschliessend bis Mitte Oktober Ferien haben, gebe ich mich momentan meinem nie ganz ausgelebten Caro-Kindheitstraum-Traum hin und errichte in unserer und einer weiteren Zweigschule eine Bibliothek, etwas, dass schon seit vielen, vielen Jahren in die Tat umgesetzt werden sollte, doch stets mangelte es an Zeit oder einer geeigneten Person. Dabei ist wahrlich alles vorhanden: Buecher, die bisher, wenn ueberhaupt, nur spaerlich gelesen wurden und zur Verwahrlosung verdammt waren; einzelne wacklige metallene Regale; ein kleiner, 9 Quadratmeter messender Raum, in dem es ironischer Weise nach verbranntem Papier riecht; ja, sogar Bibliotheksausweise... Neben dem Eingeben aller Daten in den Computer und dem Fuellen der Regale mit den Wissen in sich buergenden Seiten, sind die von Neugierde getriebenen Besuche der Schueler, die sonst nur schwer zu ihrer Library Class zu bewegen waren nun, nach dem ueblichen, von Kichern begleiteten “How are you, Miss?“ an dem was ich tue und auf einmal auch den Buechern interessiert sind - Buecher, die Bildung, den Weg aus all dem, zu dem soziale Umstaende und ihre Herkunft sie verdammten, darstellen - die Momente, in denen auch die letzten Zweifel an der Bedeutung des Sortierens und Kategorisierens schwinden.
Mit dem Oktober rufen dann andere Ideen und Projekte, die in die Tat umgesetzt werden wollen, unter anderem die Gruendung eines Chors, in dem Mr. Thomas und ich mit den Kindern ausschliesslich englische Lieder singen wollen und es den Schuelern so ein viel Leichteres sein soll, sich der fremden Sprache zu naehern, sie auch zu verstehen und nicht in Form von den immergleichen Reimen herunterzubeten. Besonders freue ich mich darauf, die 4. Klaessler in Form von noch auszuarbeitenden Theaterstuecken ueber die Rechte der Kinder, ihre ganz eigenen Rechte, nicht nur zu unterrichten, sondern durch das Spiel greifbarer erleben und Teil von sich werden zu lassen. Damit habe ich mich nun endgueltig gegen die Rolle der Lehrerin entschieden und kann mir sehr viel eher vorstellen, so wie es sich in den wenigen Tagen von ganz allein entwickelt hat, eine Bruecke zwischen den Schuelern und den Lehrern sein, die in kleineren Gruppen bei Hausaufgaben, Lernschwierigkeiten oder anderen Problemen zur Seite steht, nich aber mit erhobenem Finger der Reihe nach aussortiert und vor die Tuer verbannt. Nein, fuer wahr, viel lieber moechte ich auf der anderen Seite stehen und den wagen Versuch einer Alternative darstellen, inwiefern dies auch immer moeglich sein mag...


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Caro,

Es ist faszinierend und erschreckend zugleich von deinen Erlebnissen und Tatendrängen zu lesen und sich gleichzeitig in deine Welt zu träumen. Immer wieder überkommt mich die absolute Frage "Wie will sie das nur schaffen?" Doch im gleichen Augenblick kommt ein frischer, neuer, ja vielleicht sehr indischer Gedanke und verdrängt die grauen Wolken: Es ist nun einmal Caro. Und Caro - die ist stark!
Deine Idee mit der Bibliothek sowie das Theaterstück sind eine wunderbare Idee und werden sicherlich ihren Teil dazu beitragen, dass ein paar indische Kinder, in den Genuss (und sei es auch nur der vorbeiziehende Hauch) von Bildung kommen!
Ich ziehe jetzt schon meinen Hut!

Deine Mandy

Anonym hat gesagt…

Ich schließe mich Mandy an,
durch deine Blogeinträge, die übrigens wortgewandt geschrieben sind, erfährt man viel mehr über Indien, als aus den normalen Medien.
Ich wünsch dir auch viel Erfolg bei deinem Projekt, du schaffst das! :D

Mi hat gesagt…

Mein Engel,
nach jedem deiner Worte quillt mein Herz über mit undefinierbaren Emotionen. Es ist genau das Indien, was ich auch erlebt habe, nur das du in den Genuss kommst, es um Welten besser kennen zu lernen, zu erkunden und auszukosten als ich.
Interessieren würde mich jedoch, wenn ich so indiskret sein darf, was deine Methode statt des Griffs zum Taschentuch war. Als ich in Asien krank wurde, hab ich mich auch schnell von den Papiertüchen abgewandt und festgestellt: Die Nase ist dann gar nicht mehr entzündet und wund!

Meine Gedanken sind bei dir.
Dein Prinz Mi

Anonym hat gesagt…

meine liebe caro,
klingt alles sehr spannend und aufregend bei dir und irgendwie verbindet uns der respekt vor der fremde und der fremden kultur. einerseits geht man darin auf, andrerseits gibt es kleinigkeiten die einen stoeren und die man nicht wirklich aendern will...
umarm dich von dem anderen ende der welt
deine lina