Sonntag, 14. Dezember 2008

Selbst wenn der Vorhang faellt

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Waehrend alle uebrigen Bewohner Kolkatas zunehmend vergeblich auf den frische Kuehle bringenden Winter warten und selbst die Autorickshawfahrer, deren Gefaeherte alleweil schwarze Rauchschwaden aus ihren Auspuffen aufsteigen lassen, auf die globale Erwaermung schimpfen, haben ich es aufgegeben auf einen Tag zu hoffen, an dem ich von Musse, Zeit und einem Draengen das Erfahrene in wenige Zeilen zu kleiden, aufgesucht werde und so zwinge ich mich denn nun darum sie zu finden, bevor ich mich endgueltig in ihr verliere.

Viele muehsam erkaempfte Stunden, Tage, Wochen, ja letztlich Monate haben die 25 Jungen und Maedchen der 7. Klasse und ich gemeinsam an unserem Theaterstueck gefeilt, gebastelt und eifrig geprobt; lachend diskutiert, gestritten und die Buerden des Schulalltags miteinander geteilt, der mich die sonst so stuermisch-lebhaften Kinder manchmal mehr an die Besucher einer Beerdigung erinnern liess, wenn sie mal wieder den schweren Schatten einer der Bestrafungen mit sich zogen. An eben diesen haben wir auch Rija verloren, der es seit dem ihr Tagebuch vor der Schule vorgelesen wurde und ihre Eltern dadurch herausgefunden haben, dass sie sich einst mit einem aelteren Jungen traf, verboten ist zur Schule zu kommen.
Am 10. Dezember dann, anlaesslich des internationalen Menschenrachtstages, wollten wir unser Kinderrechts-Stueck das erste Mal vor der Schule auffuehren und auch wenn ich inzwischen weiss, dass nichts so sein wird, wie urspuenglich vorgesehen, habe ich doch nicht ahnen koennen, dass die Hindernisse uns an diesem Tag gleich in mehrfacher Ausfuehrung heimsuchen wuerden.
Mit dem Nationalfeiertag am 9. Dezember begann das drei Tage lang andauernde Eid-Festival der Muslime, was von den Schulen jedoch weitestgehend ignoriert wird und nicht, wie etwa waehrend des hinduistischen Durga Puja – Festes mit schulfreien Tagen anerkannt wird. Zum Gedenken an Abraham, der auf Geheiß Gottes statt seines Sohnes einen Widder opferte, werden zu diesem Fest weltweit Millionen von Tieren geschlachtet - so auch in Indien. Meine Jungs haben mich schon im Vorab eifrig ueber die Traditionen und Bedeutung dieses Tages aufgeklaert und mir sehr lebhaft vorgefuehrt, wie es ihnen zugedacht sei voller Stolz eine Schale an die Kehle der Kuh zu halten, bis diese sich mit Blut gefuellt haette.
Schon am Vorabend standen in muslimischen Vierteln die stolzen und praechtigen Tiere mit ihren Blumengeschmueckten und bemalten Hoernern, das letzte Stroh in ihren friedmuetigen Maeulern gemaechlich zermalmend in den Strassen angeleint - den blutroten Morgen nicht erahnend. Auch wenn ich die Koepfe nicht fallen und das Blut nicht rinnen sah (dem Anblick der gestapelten Tierhaeute jedoch nicht entgehen konnte), war dieser Schlachttag der Schauerlichkeit in seiner Atmosphaere einzigartig und ich bewunderte die vielen in weiss gekleideten Maenner, die einem Teppich gleich gen Mekka betend, am fruehen Morgen das Druchkommen in engen Gassen unmoeglich machten.
Wenn auch auf die Kinder und ihr Versprechen in der Schule zu erscheinen zu zaehlen war, bestanden doch einige der Eltern darauf ihre Soehne an diesem Tag zu Hause zu behalten um ihren unentbehrbaren Part in der Zeremonie auszufuellen und eine Luecke in unserem Stueck zu hinterlassen.

Hinzu kam der in den Zeitungen angekuendigte Busstreik, der die Stadt lahm legte und mich am naechsten Morgen auf jeden einzelnen Schulbus wartend bangen liess. Als man mich spaeter ueber den Hintergrund des Streiks aufklaerte, war ich noch viel unglaeubiger und entsetzt, denn die Busfahrer lehnten sich vereint gegen ein neu entworfenes Gesetz auf, welches dafuer Sorge tragen sollte, dass sie in Zukunft zur Verantwortung gezogen werden koennten, wenn ein Fussgaenger unter ihren Raedern zu Tode kommen sollte, was angesichts des unuebersehbaren Verkehrs keine Seltenheit ist. Bisher war es immer an dem Fahrer, seine Beine schnellstmoeglich in die Hand zu nehmen und vor dem aufgebrachten Mob zu fluechten, der ihn richtend zu Tode schlagen wuerde. Die Rechtslage ist, auch ungeachtet dessen, dass die meisten Gesetzte ohnehin nur schwere Baende fuellen, in der Realitaet aber bedeutungslos sind, allerdings keineswegs so einfach. Nur wer einst selbst Teil am Brausen der Strassen Kolkatas nehmen konnte wird einsehen, wie umstritten ein derartiges Gesetz angesichts nicht minder ruecksichtsloser Fussgaenger ist, die waghalsige Versuche unternehmen, um regellose Krezungen zu ueberqueren - worin ich wohl keine Ausnahme bilde. :)

In reduzierter Zahl und ob des Gleichmuts der Schulleitung beschlossen wir dann dennoch unser Stueck in kuzerhand abgeanderter und improvisierter Form aufzufuehren und uns den Umstaenden nicht zu ergeben. Auch wenn Ernuechterung, Aerger und Unverstaendnis sich in mir zu einer erdrueckenden Mischung aufkochten und ich sehr darum kaempfen musste, dem Ganzen nicht einfach mit vollkommener Gleichgueltigkeit gegenueberzutreten; es mir ebenso egal wie allen anderen Lehrern und Beteiligten sein zu lassen. Dass zu guter Letzt auch noch die Assembly-Hall von den tanzenden Kindergartenkindern besetzt war und wir in Sonnengewand und Soldatenuniform mitsamt unseren Requisiten die Treppe hochstapfend in einen der kleinen Klassenraeume umziehen mussten, ging in dem aufgeregten Trubel fast gaenzlich unter und wir zelebrierten uns und den Wahnsinn anschliessend mit Eis und „German Games“ in unserem kargen Matsch-Schlamm-Feld.

Ich habe unglaublich viel gelernt - ich, die ich mich ohne jegliche Erfahrung dastehend zu anfangs fragte, wie es mir ueberhaupt gelingen solle ihnen so abwechslungreich aber auch eindringlich wie moeglich zu vermitteln, dass das Leid eines szenisch dargestellten Kindersoldaten aus dem Kongo nur symbolisch fuer eine grosse, blinde Ungerechtigkeit steht, die auch sie jeden Tag ihrer Rechte beraubt und unser Spiel Mittel zum Zweck ist, dass sie Kraft schoepfen muessten um aufzustehen.
Auch glaubte ich das Dementieren eines Lieblingsschuelers oder Kindes von Lehrern und Eltern endlich als unaufrichtig entlarvt zu haben, fand ich mich doch ploetzlich in einer Situation wieder, in der ich sehr stark darum bemueht war sie nicht spueren zu lassen, dass mir der eine Junge lieber als der andere war. Indessen erkannte ich auch darin spaetere Unwahrheit und spuerte, wie ich vielmehr jedes Kind fuer sich auf eine jeweils andere Art und Weise zu lieben und schaetzen lernte, mich mit ihrem Wachsen und Wandeln freute und das Anstellen eines Vergleiches die Probe nicht bestanden haette.
Symbolisch dafuer steht der kleine Sagnik, der permanent unberechenbar und hitzig durch die Gegend wuselt, von Tischen springt und sich verletzt, mich zu meinem Geburtstag mit einer Kuscheltierbiene ueberrascht, mir aber auch angsterfuellte Stunden mit seinem aufgewuehlten Vater bescherte, der nach einer gemeinsamen, ausserschulischen Probe seinen Sohn abholen kam, diesen aber nicht vorfand, da er es vorzog entlang der dicht befahrenen Hauptstrasse allein nach Hause zu schlendern und mich berechtigter Weise zur alleinigen Verantwortung zog. All die Aufregung, die kleinen und grossen Freuden und auch der Aerger bilden irgendwann ein Ganzes, ihn, einen in sich geschlossenen Menschen, der mit Einfuehlvermoegen und Geduld nicht nur ueber die Erwartungen der ihn aufgegeben habenden Lehrer, sondern auch sich selbst hinauswachsen kann.

1 Kommentar:

Die Vogtlaender hat gesagt…

Liebe Caro,
interessiert und voller Hochachtung verfolgen wir von Anfang an deine Berichte über ein Indien, welches man sich aus unserer wohlbehueteten Umgebung heraus in keinster Weise vorstellen kann.
Als abendlaendischer Yogi spuere ich selbst gelegentlich den spirituellen Quellen der indischen Kultur in Buechern und Filmen nach, versuche das Urspruengliche zu ergruenden. Doch das heutige indische Leben, das du uns zeigst, hat mit diesem Urspruenglichen wenig zu tun. Das ernuechtert den Blick auf das verklaerte Bild von Indien, das man aus Buechern erlesen kann.
Und trotzdem ist es eine wahnsinns Erfahrung sich mit dem Leben in einer solch grossen und so zwiespaeltigen Nation aus naechster Naehe auseinandersetzen zu koennen, Respekt!
So gesehen mussten sich die Ereignisse so gestalten, wie sie dir wiederfahren sind. Liebe Caro, es ist nicht dragisch zu stolpern oder auch Mal hinzufallen. Dragisch ist nur nicht wieder aufzustehen! Doch da habe ich bei dir keine Angst. Du stehst auf und gehst deinen Weg weiter :).
Auch wenn wir oft mit dir leiden und die geschilderten Tiefen durchleben, so freuen wir uns um so mehr an deinen Erfolgen und an deinem sehr erfrischenden Optimismus mit dem du die Dinge angehst. Schreibe auch im neuen Jahr weiter über alles was dir wiederfaehrt. Wir freuen uns schon auf die neuen Zeilen von dir.
Noch ein Gedanke zum Schluss: Fuer dein Werk bedarf es neben Spucke auch viel Geduld. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.

Liebe Gruesse aus der Heimat
namastè