Sonntag, 4. Januar 2009

(K)ein Tag wie jeder andere

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Auch wenn es in diesem Jahr gewiss kein vorweihnachtlicher Wahnsinn gewesen ist, dem es zu entfliehen gegolten haette und nur die von bunten Lichterketten hell erleuchtete Stadt auf eine besondere Zeit im Kalender hinwies, begab ich mich in den Winterferien fuer wenige Tage gemeinsam mit dem zu Besuch seienden Felix voller Vorfreude auf Reisen, die uns unbesonnen entlang der Kueste des benachbarten Bundesstaates Orissa fuehren sollte.
Am Morgen nie wissend, wohin uns unsere Fuesse im Laufe des Tages tragen wuerden, genossen wir die naechtliche Fahrt auf einem Traktor entlang eines einsamen Strandes, den aufstobenden Sand auf der Haut spuerend und das weite Dunkel nicht ausmachen koennend; verliefen uns in doerfliche Gegenden, in denen gesalzene kleine Fische (deren Fleisch zuvor von dicken weissen Maden aufgefressen wurde) zu Hauf an Waescheleinen trockneten um spaeter in ganz Indien als Delikatesse verkauft zu werden; liessen bei rasanter Fahrt auf dem Dach eines Jeeps das blonde Haar vom Wind zerzausen; labten uns an der Gastfreundschaft skurriler Bekanntschaften, die mitten in der Nacht aus dem Nichts auftauchten um uns vor noch groteskeren Gestalten zu warnen und konnten mithin in jeder der kleinen Staedte und Doerfer verwundert die kaum merklichen feinen Unterschiede in Mensch und Natur ausmachen.
An manchem Abend fuhren wir einfach um des Reisens Willen mit einem der ueberfuellten Busse; liessen uns von unbestimmten Zielen treiben und belaechelten froehlich - eingequetscht auf zuzaetzlich im Gang positionierten Plastikstuehlichen hockend - die in pinke Glitzerschals, pelzige Pudelmuetzen und ausgewaschene Mickey-Mouse Pullover verhuellten Inder.
Mein Hoervermoegen duerfte ob der unermuedlich laustark dudelnden, die Nacht zerreissenden Hindimusik allerdings sehr in Mitleidenschaft gezogen worden sein und so suchten wir gelegentlich auf der Bank neben dem Busfahrer sitztend, Zuflucht im donnernden Brummen des Motors - den aufregenden Panoramablick durch die verschmierte Fensterscheibe geniessend. Verzaubert hielt ich etliche der vorueberziehenden Momente bewusst in Kopfbildern fest, auf dass sie dort, wenn auch nicht dem Hochglanzpapier, noch ein wenig laenger weiter leben moegen...
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In Puri, einem der heiligsten Pilgerorte Indiens, begegnete ich auch zum ersten Mal den „wahren Indienreisenden“, die in eine esotherische Rauecherstaeb- chenwolke eingehuellt
leichtfuessig entlang des Strandes taenzelten und so in weite Leinenhosen gekleidet der vergangenen Hippiebewegung ihren letzten blumigen Dienst erwiesen. Ich will mich nicht ein mal mehr darum bemuehen meinen Anflug arroganter Ueberheblichkeit und stechenden Missmutes angesichts dieses in den Westen getragenen "alternativen Indiens der Selbstfindung" kritisch zu hinterfragen, denn ich kann unmoeglich nachvollziehen, wieso man sich auf die Suche der inneren Erleuchtung begeben sollte, wenn man diese doch in den lachenden Augen der am Strand den Wellen nachjagenden Kinder finden kann!
Diese kriechen jeden Morgen mit der sich ihren Weg durch den Dunstschleier bahnenden Sonne aus den dunklen Huetten ihres Fischerdorfes (das seinem Namen keine Ehre macht und vielmehr einen grossen Slum gleicht), welches sich unweit des „Peace-Restaurants“ und nur wenige hundert Meter vom „Woodstock-Café“ entfernt, erstreckt.
Wie so oft erfuellten mich Stroeme warmen Gluecks und einhergehendem fassungslosen Unglauben, als ich auf einem frueh morgendlichen Sonnenaufgangs-Spaziergang, vorbei an langsam verwesenden gestrandeten Riesenschildkroeten, beobachten konnte, wie Frauen schwere Kruege mit Salzwasser fuellten und auf ihren Koepfen zurueck in ihre Behausungen trugen; Maenner allen Alters mit vereinter Kraft die schwerfaelligen Bambusboote ins Wasser zogen und fuer den ersten Fang in die offene Brandung des Meeres hinaus fuhren; waehrend die Kinder Muscheln sammelten, mit Krebsen spielten oder schnatternd, ihren Blick gen Horizont gewandt, den Strand zu einer oeffentlichen Toilette verwandelten.

Kaum in Kolkata zurueckgekehrt, welches ich mit (dem) Felix neu und anders kennenlernte und nach langer Zeit besonders die Gelegenheit des so von mir gemissten Austausches, Mitteilen-koennnens und Verstanden-werdens schaetze, folgte ich der Einladung Robin-das gemeinsam mit 40 Dorflehrerinnen und Angestellten den Jahreswechsel in Puri zu verbringen. Fuer sie, die mit dem wenigen verdienten Geld gerade so duerftig ihre Familien ernaehren koennen, sollte es die Gelegenheit sein das Meer zu sehen und ihr Land ein wenig besser kennenzulernen. Gern zog ich mit ihnen - diesmal jedoch als indische Touristin. Als diese verschlug es mich an den ueberlaufenen Teil des Strandes, der mit seinen zahllosen kleinen Marktstaenden und Karussells eher einem immensen Volksfest gleicht. Es gibt dort Zuckerwatte und manch andere Leckerei zu kaufen; Maenner preisen kostbare Perlen und Korallen an; Fotografen draengen darauf, einen Urlaubsschnappschuss festhalten zu duerfen und wer will, kann sich fuer ein paar Rupien sogar zwischen den Hoeckern eines ueppig mit Neonblumen geschmueckten Kamels ein paar Meter am Strand entlang zerren lassen.
Die eigentliche Attraktion ist jedoch das Meer, dessen starke Stroemung gigantische Wellen entstehen laesst. Da die allermeisten Inder jedoch nicht schwimmen koennen, baden und planschen sie vorzugsweise vergnuegt in den auslaufenden Schaumwogen, was auch ich nach einem ersten Versuch weiter hinaus zu schwimmen besser tat, da ich nicht nur damit zu kaempfen hatte nicht in den Wogen unterzugehen, sondern - und dies obwohl ich es den indischen Frauen gleich tat und in Salwar Kameez gekleidet das kuehle Nass meine betrat -zusaetzlich die grapschenden Haende luesterner Inder von mir zu halten, die sich jede Welle zu Nutzen machen wussten...
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Aus jedem erdenklichen Winkel der Stadt blinzeln einem die grossen Kugelaugen der als Holzfigur dargestellten Gottheit Jagannath zu, die mich jedes Mal entzueckt laecheln, aber auch vergessen liessen, dass es sich bei ihm um den gefuerchteten Herrscher des Weltalls (letzten Endes aber auch nur eine der vielen Inkarnationen Krishnas) handelt, dessen beruehmter Tempel scharweise Glaeubige anzieht. .
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Mehrmals taeglich zieht dieser "Baba" humpelnd seine Runden um den Tempel, auf dass er mit sagenhaften Yoga-Bewegungsabfolgen, zu denen ich seinen knoechrigen Koerper nicht faehig geglaubt haette, den Goettern gen allen Himmelsrichtungen Ehrerbietung dabringt.


Ferner sind auch die umliegenden Staedte reich an Tempeln und spirituellen Staetten. Ungeachtet dessen, dass Nicht-Hindus der Zutritt vieler Anlagen unerlaubt ist oder einen hohen Eintrittspreis fuer auslaendische Touristen bedingt, betrachtete ich die hunderte von Jahre alten Kunstwerke von Aussen und folgte durch die Gegend irrend der Tee-Einladung eines Babas, von dem niemand weiss wie alt er ist, nicht ein mal mehr er selbst... Ein wenig mulmig wurde mir dann dennoch zu Mute, als ich fasziniert mit ansah, wie die leblosen schwerfaelligen Koerper der Toten in aufwendigen Zeremonien verbrannt wurden.


Was ist da angesichts eines im Morgendunst stehenden Sonnentempels schon ein verpasstes, fremdbestimmte Silvester? Das kleine, an der Rezeption unseres Hotels sitzende Wurzelmaennchen, welches mit einem Bein im Grab und dem anderen irgendwo in einem Museum fuer antike Kunst stehen sollte, tyrannisierte unsere versammelte Gruppe so lange (Sumita vermutete in ihm eine Wiedergeburt Hitlers), bis wir endlich einsehen mussten, dass er die um 22 Uhr verschlossenen Tore wirklich nicht mehr oeffnen wuerde und so stuermte ich vergnuegt lachend die Treppenstufen hinauf, um noch vor Mitternacht zu schlafen und den Uebergang in das neue Jahr bewusst an mir vorueberziehen liess.


Nun steht mir, uns allen, erneut ein unbekanntes (indisches) Jahr bevor; viele, viele Tage, die darauf warten gefuellt, gelebt und bis zum allerletzten Tropfen ausgekostet zu werden und ich sehe ihnen voller Spannung und sprudelnder Lust entgegen und hoffe von ganzem Herzen, dass auch ihr auf eurem ganz eigenen Wege so machnchen Tag mit funkelndem Glanz erhellen koennt.

2 Kommentare:

Mi hat gesagt…

Auf diesem Foto bist du wunderschön, doch dein Blick ist fremd. Ich bin gespannt auf dich.
Deine Mi

Anonym hat gesagt…

Ich kann mich Mi nur anschließen.
Doch dein Blick scheint mir nicht fremd, nur ein bisschen unsicher. Ich frage mich wie du die vielen Eindrücke verarbeiten kannst oder wenigstens wegsteckst. Ich bin immerwieder begeistert, wie sich dir das indische Leben zeigt, wie du es beschreibst und wie du zu neuen Abenteuern aufbrichst, wie du das fremdartige Leben in vollen Zügen in dich aufsaugst und wie du uns zu Hause gebliebenen an diesem wahnsinnig interessanten Lebensabschnitt teilhaben läßt! Viel Glück im neuen Jahr.