Freitag, 30. Januar 2009

Dem Ganges zu Fuessen

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Mit der zweiten angebrochenen Stunde des ungewissen Wartens, in der die elektronische Frauenstimme immmer noch nervtoetend im Sekundentakt ueber den Bahnhof quaekte und die verspaeteten Zuege ankuendigte, jedoch immer genau dann inmitten des allgemeinen Gewusels zerriss, als es daran war die voraussichtliche Ankunftszeit anzusagen, machte auch ich es mir auf meinem Rucksack bequem und musste laechelnd daran denken, dass ein jeder, der sich so bereitwillig ueber die DeutscheBahn echoviert, doch ein mal in den Genuss einer indischen Zugreise kommen sollte. Das Faszinierenste ist jedoch immer wieder, dass es niemanden, wirklich niemanden zu stoeren scheint und die Reisenden lediglich etwas tiefer in ihre grossen Bastsaecke sinken, als ob sie fuer eine Ewigkeit weilen wuerden – was genau genommen ja auch gar nicht so abwegig ist…
Indessen ist es nicht nur das undurchsichtige Chaos, sondern vorallem die einzigartig-warme Vertrautheit, die sich waehrend der Zugfahrt ausbreitet und so vor dem Ausklappen der blauen Schlafliegen reichgefuellte Dosen und Tueten geoffnet werden um gemeinsam ein zusammengewuerfeltes und nach indischer Manier ausladendes Abendessen zu geniessen.

Auf die Reise begab ich mich dieses Mal mit Gora Ghosh. Gora stammt urspruenglich aus Indien, verbrachte jedoch die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland und kehrt nun jedes Jahr gemeinsam mit seiner Frau Annelies fuer drei Monate nach Kolkata zurueck um in einem nahegelegenen Waisenhaus, in dem ich die beiden auch kennenlernte, auszuhelfen. Waehrend Annelies schon ein paar Wochen frueher den Heimflug anzutreten gedachte, entschlossen Gora und ich uns ueber koestlich duftenden Waffeln kuzerhand dazu, dass verlaengerte Wochenende in Varansi zu verbringen.
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Die uns begnenden Inder sahen sich bei unserem Anblick vor ein wunderliches Raetsel gestellt, dessen Aufloesung sie dann mit glaenzenden Augen auf die Schliche gekommen zu sein meinten, als sie mir von Stolz erfuellt die Hand schuettelten und sich daran erfreuten, in mir eine Halb-Bengalin zu erkennen, die mir ihrem Vater reist. Wenn auch ungewoehnlich, ist nicht zuletzt dieser Eintrag - eine Verbindung aus meinem Wort und Goras festgehaltenem Bild – Zeichen unserer perfekt passenden Reisekombination.
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Varanasi ist ein Schauplatz des Lebens – der Geburt, dem Tod und dem kurzen Moment, der zwischen ihnen steht – welches sich entlang der Ghats, den Toren zum verehrten Ganges, in unglaublicher Vielfalt entfaltet. Auf den steinernen, zum Wasser hinabreichenden Stufen kommen Menschen zusammen um zu beten wie betteln, sich und ihre Kleider “rein“ (eigentlich sollten die Anfuehrungszeichen nur so herniederieseln) zu waschen, den Goettern zu huldigen oder aber um zu Asche zu verbrennen und an diesem heiligsten aller Orte Eins mit dem grossen Ganzen zu werden.
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Mit dem Sonnenuntergang verwandelt sich die heilige Ader Indiens allerdings eher in einen mythischen Fluss der Unterwelt, auf dem vereinzelt leuchtende Oellampen schwimmen und die letzten Gondeln lautlos ueber das truebe Wasser ziehen. Ein gespenstisches Bild, welches durch die niederbrennenden Ueberreste der gluehenden Scheiterhaufen, um die wie ein Lagerfeuer gescharrt Bestatter und Tier (schon vollkommen unempfaenglich fuer den beissenden Geruch von verbrennendem Fleisch) gleichermassen Waerme suchend versammelt sitzen, nur noch verstaerkt wurde.

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Die Stadt selbst ist ein wirres Gassenlabyrinth voller versteckter Winkel und Nischen und es ist wahrlich eine Herausforderung sich durch die ohnehin schon engen Strassen an einer uebertraechtigen Kuh vorbei zu schlaengeln – und selbst wenn dieses Hindernis genommen sein sollte, steht man aller Wahrscheinlichkeit nach trotzdem in einem der noch warmen Kuhfladen – zumindest meinte es das Glueck ueberaus gut mit mir... Ueberall ragen die verzierten Tempeltuermchen hervor und saeumen sich alte, knorrige Wunderbaeume, in deren Geaest sich nicht nur muntere Affen tummeln, sondern auch viele der kunterbunten Papierdrachen verfangen haben, die einst in den Haenden der Kinder ueber den stets Wolken verhangenen Himmel Varanasis tanzten.

Auch wir begaben uns in das hastige Gewuehl und besuchten einige der Tempel, aus denen man wie ueberall ein richtiges Geschaeft zu schlagen scheint und Priester die Opfergaben in Scheinen auszaehlen, waehrend die Glaeubigen von Sicherheitsmaennern schnell, schnell dazu aufgefordert werden von einem Altar zum anderen zu hetzen. Doch wirklich fuehlen konnte ich Varanasi wohl nur, wenn wir schweigend an den Ghats sassen und unsere Sinne fuer sich erleben liessen, was sich nicht in Worte fassen laesst, waehrend vorerst noch bettelnde Kinder meine Haare mit Freuden zu kleinen verknoteten Zoepfen flochten.
Mitunter erschien mir dieser Ort jedoch auch wie eine blosse Kulisse fuer die Scharen von „Foreigners“ (zu denen ich unumgaenglicher Weise ja auch zaehle :)), die im Flutlicht von kuenstlich angebrachten Scheinwerfern ein Foto nach dem anderen knipsten. Auch wenn ich nicht zu letzt Dank Gora wieder um so viel Wissen und Erfahrung reicher bin und dieses unerkannte Land nur zu gern in all seinen Facetten kennenlerne, weiss ich einmal mehr, dass ich „meinem Indien“ wohl nicht anhand der im Reisefuehrer als Sternchen angefuehrten Orte naeher sein koennen werde...

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Stiller und friedvoller verzauberte mich das 10 Kilometer entfernte Sarnath. Gautama Buddha erwaehlte diesen kleinen Ort als Gegenstueck zur hinduistischen Hochburg Varanasi um zum ersten Mal die Grundlagen seiner durch die Erleuchtung gewonnenen Erkenntnis zu predigen. Auch wenn sich die einstigen Stupas nur noch als sandfarbene Ruine erahnen lassen, verleihen die in orange farbene Kutten gehuellten Moenche mit ihren wunderschoenen vollen Gesichtern – ein jedes ein Gemaelde in sich - den Zeugnissen vergangenen Lebens eine liebliche Atmosphaere.

Zurueck in Kolkata, das ich nun schon nach wenigen Tagen vermisse; zurueck zu tagelangen Strom- und Wasserausfaellen; zurueckgekehrt in die Stadt, die durch beliebige Feiertage und Streiks, deren Veranlassung keiner zu erklaeren weiss, still liegt; zurueck auch in meiner Schule, in der zur Zeit ein Marathon an Endjahres-Examen zu bewaeltigen ist und meine Morgende daher damit beginnen, mit den Kleinen Lieder und Taenze fuer das alljaehrliche Schulkonzert einzustudieren.
Ich habe mich wirklich auf diese Abwechslung im tristen Schulalltag der Kinder gefreut und wollte die Lehrerinnen voller Euphorie bei den Proben unterstuetzen, doch sollte das, was fuer mich zunehmend zu einem Kampf wird, mal wieder meine Vorstellungen uebersteigen: nach der ersten Woche wurde zum Mikrofon gegriffen, da die Stimmen der Lehrer ob des dauernden Schreiens und Bruellens zu einem Fluestern versiegt waren und auch die Androhungen „auf direktem Weg durchs Fenster in den vor der Schule befindlichen Tuempel geworfen–“ alternativ dazu „im Schrank eingesperrt zu werden“, aus den 3 und 4-Jaehrigen keine leidenschaftlicheren Taenzer machten. Ganz im Gegenteil scheinen sie eher immun gegen Wort, Lineal und antreibenden Schlag, was ich von mir noch lange nicht behaupten kann. Dabei weiss ich, dass die Lehrer den Kindern nicht mutwillig weh tun wollen, versuche mich daran zumindest staendig zu erinnern und sie sich einfach nur keiner anderen Mittel zu bedienen wissen, um das von Oben angeordnete, vorzeigbare Programm rechtzeitig (denn darum - und nicht etwa den Spass - geht es vorallem) fertig zu stellen. Ich selbst tanze auf einem wackeligen Seil, in dem ich einen Mittelweg zu finden suche, der es mir erlaubt den verletztlichen Jungen und Maedchen mit Liebe und Geduld die erdachte Schrittabfolge beizubringen ohne mich wiederholt bei der Schulleitung einfinden zu muessen, da ich es wagte die Mittel der Disziplinierung zu hinterfragen.

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