Sonntag, 8. März 2009

Von einer Welt in die andere

Waehrend ich darum bemueht war, mich aus meinem Mosquitonetz-verhangenen Schlaf zu winden, liess das 6-Uhr-frueh-morgendliche energische Klopfen an meine Tuer mich doch stark in Frage stellen, inwiefern mein Verstaendnis von Spontanietaet jemals mit der indischen Tages”planung” Schritt halten koennen wuerde… Doch noch ehe ich zu dem Schluss haette kommen koennen, dass ich in diesem Vergleich unmoeglich bestehen wuerde, ward ich schon dazu aufgefordert schnell in meinen Kurta zu schluepefen um mich wenig spaeter auf den Weg zu unserem im Februar zu Besuch gewesen seienden “hohen Gast” zu machen, dessen Begleitung mir an diesem Tag zufiel.
Im Vorab habe ich meine Allgemeinbildung wirklich etwas beschaemt in Frage gestellt, kreuzte ein beruehmt-beruechtigter “Dean of Westminster Abbey” doch nie meinen Weg, waehrend alle anderen in der Organisation seiner Ankunft respekterfuellt entgegensahen, bis sich das sagenumwobene Bild ein wenig lueftete und die Ersten mich (als Europaeerin) vorsichtig fragten, wer genau dieser Mann denn eigentlich sei. Oh, wie habe ich mich (als Caro) da gefreut ihnen mitteilen zu duerfen, dass ich nicht den leisesten Schimmer haette und war erneut fasziniert davon zu sehen, dass Menschen ebenso bedeutend sind, wie wir sie erscheinen lassen und sie nur in unserem unkritischen Glauben an ihren Status eine Existenzberechtigung finden koennen.
Wahrhafter Bekanntheitsgrad hin oder her, der Vorstand des Abbeys in London wurde als Patron der 2010 stattfindenen Jugendkonferenz, welche die YMWS schon jetzt langsam zu organisieren beginnt, wuerdig empfangen. Das dies jedoch ein klimatiersiertes, von einem Polizeiescort angefuehrtes Auto beinhalten wuerde, welches ihn durch Kolkata kutschieren sollte und eine problemlose Fahrt vorbei an den Slums dieser Stadt garantierte, habe ich nicht absehen koennen und ich fuehlte mich, ueber - im wahrsten Sinne des Wortes – “Gott und die Welt” redend, unglaublich gefangen. Dabei haette mir und allen Beteiligten eigentlich im Vornherein klar sein sollen, dass ich nicht gerade die geeignetste Person fuer ein wenig Smalltalk ueber die “Royal Family” sein wuerde.

Gehoert auch diese Erfahrung als Gegenpol und Teil dazu? Und wenn ja, wozu? Wohl nicht zum Leben Gaithridis, der Koechin unserer Schule und ihrer Tochter, meiner lieben, lieben Putul, ohne deren Gesellschaft ich mich oft sehr allein gefuehlt haette. Sie wohnen wie ich in der Schule, auch wenn “wohnen” es nicht ganz trifft, da sie den ganzen Tag ueber fuer die Familie arbeiten – kochen, waschen und putzen – und die Schulbaenke sich erst am spaeten Abend zu ihren harten Betten wandeln.
Nahezu jede mittelstaendige Familie stellt Haushaltsgehilfinen an, die taeglich zum Kochen oder Reinigen vorbeikommen; dies ist in Indien nichts Ungewoehnliches und ebenso gewoehnlich ist das Leben von Gaithridi, welches stellvertretend fuer viele andere steht und von dem sie mir am Abend in der Kueche beim Ausrollen des Rutiteiges (einem leckeren ueber Gas aufgeblaehtem kleinen runden Fladenbrot) erzaehlt :
Zwangsverheiratet wurde sie frueh, zu frueh, denn ohne einen Ehemann und sei er auch noch so unnuetz, ist sie als Frau nur wenig wert und so verhindert die rote, fuer alle sichtbare Markierung auf dem Scheitel ihres Kopfes zumindest gesellschaftliche Aechtung. Gaithridi ist Analphabetin, doch das Geld fuer die 10-koepfige “joined family”; ihre beiden Soehne und deren Frauen wie Kinder, ihren Ehemann und Putul, die alle unter einem Dach wohnen; verdient hauptsaechlich sie. Zwar zieht ihr kleiner, hagerer Mann in den stark befahrenen Strassen der Stadt eine Rickshaw; doch von dem zweifelsohne geringen Verdienst bekommt die Familie nichts zu sehen, da er es in Form von illegal gebranntem Reisschnaps vertrinkt. Erst kuerzlich sind in ihrer Nachbarschaft viele alkoholabhaengige Maenner gestorben, da sie alle vom gleichen giftig zusammengepanschten Fusel tranken; ein allgegenwaertiges Problem, das diesmal sogar von den Medien aufgegriffen wurde. Putuls Vater war dieses mal nicht unter ihnen, da er noch am Rausch des Vortages zu zehren hatte.
Wirklich gut behandelt werden die beiden hier nicht, aber bis Putul verheiratet ist muessen sie bleiben um das noetige Geld fuer Schmuck und Mitgift zu verdienen – ein wahres Vermoegen! Dabei darf dies eigentlich gar nicht sein, nein es darf nicht!, denn gesetzlich ist die Brautaussteuer schon seit einiger Zeit verboten, ja gesetzlich… Viel schlimmer jedoch und das tut mir unglaublich weh, ist, dass Gaithridi immer wieder beklagend aufseufzt keinen willigen Ehemann zu finden, da Putul – die so alt wie ich ist, nein, ein wenig aelter, aber so genau weiss das keiner, da Geburtsurkunden je nach Bedarf erkauft, erstellt und gefaelscht werden – eine viel zu dunkle Hautfarbe hat und auch saemtliche Aufhellungscremes nicht den gewuenschten Effekt erzielten. “Tja, dann muessen wir sie wohl an eine schwarze Bulldogge von der Strasse verheiraten!”, schlussfolgert sie dann lachend und Putul, dieses schoene sanfte Maedchen, das genauso aussieht wie es heisst – wie eine Puppe – stimmt schallend mit ein, denn schon seit ihrer Kindheit ist sie mit dem Wissen aufgewachsen, nichts, aber auch gar nichts wert zu sein.

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Und dann finde ich mich an einem Wochenende auf einmal weder in einem Auto, noch dem Kuechenboden sitztend wieder und ziehe gemeinsam mit lieben Menschen in einem hoelzernen Boot ueber den Ganges und lasse wenige Stunden vom stickig-qualmend-verschmutzten Kolkata und doch Welten von Gaithridi und Putul entfernt, Seele und Beine im kuehlen Nass baumeln, waehrend im Dickicht von Bananenplantagen und Papayabaeumen immer mal wieder Bueffelkarren und Dorfbewohner auftauchen, die riesige Strohballen auf ihren Haeuptern tragen. Ein stilles Paradies - nicht nur fuer nie zuvor gesichtete Zugvoegel, die im seichten Wasser nach kleinen Fischen fingen oder in Schwaermen ueber unseren Koepfen flatterten.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Was für eine gute Schilderung... PAkistan und Indien scheinen sich in dem Punkt kaum zu unterscheiden. Weißt du schon, wann du zurück nach Deutschland fliegst und wie lang du in Kolkatta sein wirst?
Ich hoffe, es geht dir weiterhin gut in deinem Leben. Eva

Lina hat gesagt…

Immer wieder erstaunt mich dein Leben und deine Schilderung - einfach wunderbar meine Liebe!! Geniess es weiterhin mit allen Sinnen. Deine Lina